Schattenmenagerie
Septakkord,
beendete den zweiten Satz. Der rohe und aggressive Klang schwebte sekundenlang durch
den Konzertsaal. Viviana fühlte sich ein wenig erschöpft und musste sich mit beiden
Händen am Klavierhocker abstützen. Sie senkte den Kopf und bewegte unauffällig ihre
Schultermuskeln, um sich zu entspannen.
Gott sei Dank klatschte diesmal
niemand. Alle respektierten die überwältigende Leistung der jungen Künstlerin, obwohl
die meisten nur sehr wenig von der Musik verstanden.
Kroll schaute flüchtig zu Romanowsky
hinüber. Der saß mit steinerner Miene auf seinem Stuhl. Der Inspektor hätte zu gern
gewusst, was in dessen Kopf vorging. Dieser Mann war ihm ein Rätsel. Unnahbar, undurchschaubar.
Aber, wie er von Dorndorf wusste, ein intelligenter Kenner der Eutiner Geschichte,
der wie ein Einsiedler auf seiner Fasaneninsel lebte. Weder Kroll noch seinem Kollegen
war es gelungen, mit dem Mann unverbindlich zu sprechen. Und um ihn zu einem Verhör
zu laden, lag kein handfester Grund vor.
Kapitel 18:
3. Satz: In der Wolfsschlucht
Unruhige Tremoloakkorde wirbelten durch den Raum, begleitet von einer
düsteren, chromatisch abwärtsgeführten Bassstimme. Die Zuhörer hatten den Eindruck,
als wolle die Pianistin sie zu einem Abstieg in den Hades einladen.
Wirre, zackige Motivfetzen jagten einander, bis
sich vor Vivianas sensiblen Augen eine furchtbare Waldschlucht aufbaute. Größtenteils
mit Schwarzholz bewachsen, von hohen Gebirgen rings umgeben. Von einem Hang stürzte
ein Wasserfall herab. Der Vollmond schien bleich. Zwei Gewitter von entgegengesetzter
Richtung waren im Anzug.
Weiter vorwärts
ein vom Blitz zerschmetterter, verdorrter Baum, inwendig faul, sodass er zu glimmen
schien. Auf der anderen Seite, auf einem knorrigen Ast eine große Eule mit feurig
rädernden Augen. Auf anderen Bäumen hockten Raben und andere Waldvögel.
Es roch nach
Moder und giftigen Pilzen. Von allen Seiten prasselten die geheimnisvollen Klänge
der Natur. Sie bündelten sich wie im Brennpunkt eines Schmelztiegels in der Mitte
der Schlucht, wo sich eine kleine Lichtung befand, gespenstisch vom milchigen Mondlicht
beleuchtet.
Eine als Jäger
gekleidete Gestalt hockte vor einem Haufen schwarzer Feldsteine. Ein breiter Jägerhut
beschattete sein Gesicht. Er war damit beschäftigt, die Steine zu einem Kreis zu
legen. Er gab sich viel Mühe, ihn so zu gestalten, als hätte er einen Zirkel angelegt.
Dann richtete
er sich auf und betrachtete zufrieden sein Werk. An der Seite lag seine Jagdtasche,
aus der er einen Totenkopf hervorzog. Vorsichtig legte er diesen genau in die Mitte
des Steinkreises. Dann kniete er sich davor und vollführte eine beschwörende Geste
über dem Totem:
»O domine, qui regis animas!«
Aus der Ferne
drangen zwölf schwere Schläge einer Kirchenuhr herüber. Die Wände der Schlucht warfen
sie in einem wilden Echo zurück, als hätte die Uhr hundertmal geschlagen.
Nachdem dieser
Lärm verebbt war, hob der Mann seinen Kopf und rief mit kräftiger Stimme in die
Schlucht hinein: »Ahriman! – Ahriman, erschein!«
Er wartete eine
Weile. – Keine Reaktion. Dann nahm er den Totenkopf in die Hände und hielt ihn hoch
zum verdüsterten Himmel: »Bei des Zaub’rers Hirngebein! – Ahriman! – Ahriman, erschein!«
Ein heftiger
Blitz brach sich Bahn und erleuchtete die gespenstische Szene. Das Antlitz des Mannes
konnte man immer noch nicht erkennen. Die Eule flog verschreckt davon und streifte
seinen Kopf.
Wieder wartete
er. Dann knackte es plötzlich oben auf einem Felsvorsprung, der in halber Höhe über
der Schlucht bizarr hervorragte. Ein zweiter Blitz fiel krachend vom Himmel. Er
beleuchtete die Silhouette einer in einen langen, wehenden Mantel gehüllten Person.
Aus der Froschperspektive des Mannes unten im Steinkreis sah sie aus wie eine übermenschliche,
riesige Bronzestatue.
Sie rührte sich
nicht, als sie mit hoher, schneidender Stimme antwortete: »Was rufst du?«
Der Mann unten
warf sich nieder und kroch aus dem Kreis heraus. »Du weißt, dass meine Frist bei
Tagesgrauen abgelaufen ist. – Bitte, verlängere sie mir noch einmal.«
»Nein!«, dröhnte
es von oben.
»Ich bringe dir
ein neues Opfer, wenn du willst. – Eine Frau, wie sie noch nie dein dunkles Reich
betrat.«
»Was ist ihr
Begehr?«
»Rache. – Rache
für verschmähte Liebe.«
Die Statue auf
dem Felsvorsprung stieß ein fürchterliches Lachen aus. »Ha, das ist gut! Das gefällt
mir. Die verwundete Seele einer betrogenen
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