Schattenmenagerie
dominierten.
Mitten in der
tiefsten Mulde des Tals stand eine kleine Kapelle. Ihre weißgetünchten Mauern wetteiferten
mit der Farbe der Zirruswolken. Das kleine goldene Kreuz auf dem Türmchen mit dem
scherenschnittähnlichen Wetterhahn glänzte im Licht der hochstehenden Sonne.
Seit Menschengedenken
hieß das kleine Gotteshaus ›Das Tor zum Paradies‹. Niemand wusste, woher der Name
stammte. Vielleicht, weil es den Eutinern als beliebte Hochzeitskapelle diente.
Auch heute fand
eine Trauung statt. Das Tal wimmelte von Menschen, die zu Fuß hierher gekommen waren.
Es war Brauch, von Eutin über das Fissauer Fährhaus mit einem Ausflugsdampfer zum
Malenter Kellersee bis hin zum Sielbecker Anleger zu fahren und von dort eine kleine
Wanderung zum Jagdschloss Uklei zu wagen, das hoch oben über dem Talkessel lag.
An jeder Station
wurde natürlich gebührend gezecht, gelacht und getanzt.
Im Jagdschloss
hatte die Gräfin von Bülow ein fulminantes Frühstück reichen lassen, bevor sich
der Hochzeitstrupp hinab ins Tal begab, um auf den Höhepunkt der Feier zuzusteuern.
Einzig das zukünftige Brautpaar durfte in einem Einspänner hinunter zur Kapelle
fahren. Die Gräfin, die sich als Besitzerin eines Reiterhofes ausgezeichnet mit
Pferden auskannte, führte den rassigen Andalusier.
Einige der Gäste
konnten sich den banalen Spruch nicht verkneifen: »Ob sie in der Ehe später auch
die Zügel in der Hand hält?« Alle waren bester Stimmung und genossen den herrlichen
Sommertag.
Doch etwas war
anders als sonst. Man hörte keine Vögel singen, sah keine Eichhörnchen von Baum
zu Baum springen. Nur ein einsamer Falke kreiste, vergeblich nach Beute suchend,
über dem Talkessel. Lag das daran, dass die Tiere sich durch das ausgelassene Treiben
der Menschen gestört fühlten? Oder lag es an dem Wolkenbild, das die Geschöpfe des
Waldes besser deuteten als die Menschen?
Unten, am Tor
zum Paradies angekommen, versammelte man sich vor der schmalen hölzernen Kirchentür
und wartete, bis das schmiedeeiserne Kirchenglöckchen zu läuten begann. Ein schlichter
Klang, der eher an eine Kuhglocke als an ein Hochzeitsgeläut erinnerte. Aber er
passte trefflich in die Landschaft und füllte das Tal mit einer andächtigen Stimmung.
Das Schwatzen
und Scherzen der Hochzeitsgesellschaft hörte schlagartig auf. Nur der Andalusier
wieherte kurz auf. Irgendetwas schien ihn nervös gemacht zu haben.
Die Tür der Kapelle öffnete sich
und der Pfarrer betrat die Schwelle. »Gesegnet, die ihr bereit seid, den heiligen
Bund der Ehe einzugehen. Gottes Haus steht euch offen.«
Man ließ dem
Brautpaar den Vortritt. Der Jungherzog von Altenburg, geführt von seiner Mutter
Cäcilie, und die Gräfin Barbara von Bülow, eingehakt beim Herzog, folgten dem Geistlichen.
Nach ihnen kam alles, was in Eutin
Rang und Namen hatte: der Bürgermeister, der Landrat, der Apotheker, der Schulrektor
und und und. Natürlich waren auch die Mitglieder des Stiftungsrats anwesend. Romanowsky,
der Pächter der Fasaneninsel, hielt sich zurück und besetzte einen der rückwärtigen
Stühle an der Seite, hinter einer Säule.
Das Ehepaar Kriebgans
von der Alten Schäferei setzte sich ehrfurchtsvoll in die letzte Reihe. Der Platz
neben ihnen blieb frei, weil es Caoba vorgezogen hatte, sich in ihr Zimmer einzuschließen.
Die Eltern hatten versucht, sie zum Mitkommen anzuregen. Trotzig hockte sie dort
und hörte lautstarke Rockmusik. Die beiden Alten hatten Verständnis für das Verhalten
ihrer Tochter, ahnten sie doch schon seit geraumer Zeit, dass ihre Liebschaft mit
dem Jungherzog in die Brüche gegangen war. Und nun sollte sie zu dessen Hochzeit
mit einer anderen kommen? Das hätte nur Unglück gegeben.
Auch der Schlossverwalter,
Luciano Diabelli glänzte durch Abwesenheit. Einer müsse sich schließlich um das
Schloss kümmern, lautete seine windige Ausrede. Dem Herzog war es egal.
So nahm denn
die Zeremonie ihren gewohnten Lauf. Jeder hatte das schon mehrfach erlebt. Aber
immer wieder war man dankbar, dass es diesen Ritus gab. Er stiftete Sicherheit und
Ruhe, gab dem aufgeregten Hochzeitspaar Gelegenheit, seine Nervosität zu verbergen.
Und in der Tat
schien um die beiden herum eine unbestimmbare Spannung zu herrschen. Der Pfarrer
spürte es als Erster. Irgendetwas lag in der Luft, das er nicht kannte, das ihn
etwas irritierte. So war es denn auch für ihn ganz gut, sich an seiner Liturgie
festzuhalten.
Im Kirchenschiff
herrschte Stille, nur die Stimme des
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