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Schattennacht

Schattennacht

Titel: Schattennacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: D Koontz
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Einheit bilden.
    Weil das Ungeheuer hinter mir ein Kopfdieb war, hatte es bestimmt irgendein eindrucksvolles Messer dabei, zum Beispiel eine Machete, mit der ich Bruder Timothy abschneiden konnte. Es würde mir schon nichts tun, wenn ich ihm klarmachte, dass ich ein Freund von Tommy Cloudwalker war. Zigaretten konnte ich ihm zwar nicht anbieten, aber dafür hatte ich eine Packung Kaugummi dabei, Marke »Black Jack« selbstverständlich.
    Als ich an einem der Bänder zupfte, an denen der tote Mönch hing, war es wesentlich straffer, als ich erwartet hatte. Es war so fest gespannt wie die Saite einer Geige.
    Das fasrige Material gab einen hässlichen Ton von sich. Ich hatte nur an einem Band gezupft, aber nach einem kurzen Augenblick begannen die anderen zwölf Bänder ebenfalls zu vibrieren. Eine schaurige Musik entstand, die mich an die Töne eines Theremins erinnerte.
    Meine Kopfhaut kribbelte, ich spürte einen heißen Atemhauch im Nacken und sog einen fauligen Geruch ein. Obwohl ich wusste, dass es sich um irrationale Angst handelte, um eine Reaktion auf den gruseligen Zustand von Bruder Timothy und die verstörenden Töne der Bänder, gab ich schließlich klein bei.
Es war mir zwar zuwider, derart leicht von meiner Fantasie überlistet zu werden, aber ich drehte mich tapfer nach dem Ungeheuer um, das hinter mir lauerte.
    Da war natürlich keines. Hinter mir wartete niemand außer Boo, der mich so verblüfft betrachtete, dass meine Beschämung über mich selbst verflog und ich grinsen musste.
    Während das frostige Geräusch der dreizehn Bänder verklang, drehte ich mich wieder zu Bruder Timothy um und sah ihm gerade in dem Moment ins Gesicht, als er die Augen aufmachte.

32
    Genauer gesagt: Bruder Timothys Augenlider hoben sich, aber die Augen konnte er nicht öffnen, weil er keine mehr besaß. In ihren Höhlen befanden sich kaleidoskopartige Muster aus winzigen Knochenformen. Erst nahm das Muster in der linken Augenhöhle eine neue Gestalt an, dann tat das in der rechten dasselbe, und schließlich verwandelten sich beide in perfekter Synchronisation.
    Ich hatte das Gefühl, ich sollte einen Schritt zurücktreten.
    Zungen- und zahnlos klappte der Mund auf. Auch in der Höhlung dieses lautlosen Schreis befand sich ein vielschichtiges Konstrukt aus Knochenformen, die auf ebenso unerklärliche wie unbeschreibbare Weise miteinander verbunden waren. Rotierend dehnte sich das Gebilde aus, nur um sich im nächsten Moment wieder nach innen zu falten, als versuchte es, eine Kolonie hartleibiger Spinnen zu schlucken, die sehr lebendig waren und sich wuselnd dagegen sträubten.
    Als Nächstes spaltete sich von den Mundwinkeln bis zu den Ohren die Haut. Ohne dass ein einziger Blutstropfen ausgetreten wäre, rollte sich die Oberlippe ein wie der Deckel einer Sardinenbüchse, die man mit einem Drehschlüssel öffnet. Auch der untere Teil des Gesichts schälte sich ab, bis er über das Kinn hing.
    Offenbar hatte die Leiche von Bruder Timothy nicht nur die Funktion, die Kreuzigung zu verhöhnen. Sie war auch eine Puppenhülle,
aus der sich etwas herauszwängte, das bei Weitem nicht so harmlos war wie ein Schmetterling.
    Hinter der sich öffnenden Gesichtshaut kam zum Vorschein, was ich zuerst nur in den Augenhöhlen und dem aufgesperrten Mund gesehen hatte: ein fantastisches Mosaik aus Knochenformen, die mit Scharniergelenken, Drehgelenken, Ellipsoidgelenken, Kugelgelenken und andersartigen Gelenken verbunden waren, für die keine Bezeichnung existierte und die auch keine natürliche Erscheinung dieser Welt darstellten.
    Dem Augenschein nach bestand das Ganze aus einer festen Masse von Knochen, die so eng miteinander verbunden waren, dass sie eigentlich hätten verschmolzen sein müssen, ohne genügend Raum zu haben, um zu rotieren oder sich zu beugen. Dennoch rotierten sie; sie drehten und beugten sich, und zwar nicht nur in drei, sondern in vier Dimensionen. Die Gelenkigkeit, die sie dabei zur Schau stellten, war verblüffend.
    Stellt euch vor, das ganze Universum und die gesamte Zeit würden von einem gewaltigen Getriebe in genau der richtigen Bewegung und in perfektem Gleichgewicht gehalten, und blickt dann in diesen komplexen Mechanismus hinein, dann habt ihr eine Ahnung von der Verständnislosigkeit, der Ehrfurcht und dem Schrecken, mit dem ich vor diesem bizarren Skelett stand, das sich drehte, sich beugte, tickte und klickte, während es sich aus den fadenscheinigen Überresten von Bruder Timothy schälte.
    Nun entstand

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