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Schattennacht

Schattennacht

Titel: Schattennacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: D Koontz
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als wollte er eine Pferdeschlittenfahrt mit dem Zaren unternehmen.
    Nach meiner Begegnung mit dem galoppierenden Knochengebilde hatte ich mich erst einmal flach auf den Boden gelegt, starrte an die Decke und versuchte, mich zu beruhigen, während ich darauf wartete, dass meine Beine nicht mehr zitterten und wieder etwas Kraft zurückgewannen.
    Über mir stehend, blickte der angebliche Bibliothekar auf mich herab. »Sie sind ein merkwürdiger junger Mann, Mr. Thomas.«
    »Ja, Sir, das ist mir bewusst.«
    »Was tun Sie denn da auf dem Boden?«
    »Ich erhole mich von einem Riesenschrecken.«
    »Was hat Sie denn erschreckt?«
    »Die plötzliche Erkenntnis meiner Sterblichkeit.«
    »War Ihnen vorher denn nicht klar, dass Sie sterblich sind?«
    »Doch, Sir, das ist mir schon eine ganze Weile klar. Ich wurde einfach, nun ja, von einem Gefühl des Unbekannten überwältigt. «
    »Welches Unbekannte, Mr. Thomas?«

    »Das große Unbekannte, Sir. Ich bin nämlich kein besonders schreckhafter Mensch. Kleine unbekannte Dinge bringen mich nicht aus der Fassung.«
    »Inwiefern tröstet es Sie eigentlich, auf dem Garagenboden zu liegen?«
    »Die Wasserflecken an der Decke sind wunderhübsch. Sie wirken äußerst entspannend.«
    Romanovich betrachtete die Betonfläche über seinem Kopf. »Ich finde sie hässlich.«
    »Ganz im Gegenteil! Sehen Sie nur, wie die weichen Schattierungen von Grau und Schwarz und Rostrot, dazu eine Spur Grün, sanft ineinander übergehen, in freien Formen, ohne dass etwas so scharf und starr wäre wie ein Knochen.«
    »Knochen, sagten Sie?«
    »Ja, Sir, ganz recht. Ist das eine Bärenfellmütze?«
    »Jawohl. Ich weiß, es ist politisch nicht korrekt, Pelz zu tragen, aber bin trotzdem nicht bereit, mich dafür bei irgendjemandem zu entschuldigen.«
    »Gut für Sie, Sir. Bestimmt haben Sie den Bären selbst erlegt. «
    »Sind Sie vielleicht ein engagierter Tierschützer, Mr. Thomas?«
    »Ich habe nichts gegen Tiere, aber ich bin normalerweise zu beschäftigt, um für sie auf die Straße zu gehen.«
    »Dann will ich Ihnen anvertrauen, dass ich den Bären, von dem das Fell für diesen Hut sowie für Kragen und Ärmel meines Mantels stammt, tatsächlich selbst erlegt habe.«
    »Da haben Sie von einem ganzen Bären aber nicht sehr viel verwendet.«
    »In meinem Kleiderschrank hängen weitere Pelzteile, Mr. Thomas. Aber ich frage mich, woher Sie wussten, dass ich den Bären erlegt habe.«
    »Nichts für ungut, Sir, aber abgesehen von dem Fell, das Sie
für verschiedene Kleidungsstücke verwendet haben, ist offenbar etwas von dem Geist des Bären auf Sie übergegangen, als Sie ihn getötet haben.«
    Aus meinem ungewöhnlichen Blickwinkel sahen die vielen Sorgenfältchen in dem Gesicht über mir wie schrecklich dunkle Säbelnarben aus. »Das klingt eher nach New Age als nach Katholizismus«, sagte Romanovich.
    »Ich meine es nicht wortwörtlich, sondern im übertragenen Sinn, und mit ein wenig Ironie.«
    »Als ich so alt war wie Sie, konnte ich mir Ironie nicht leisten. Stehen Sie eigentlich irgendwann mal auf?«
    »Gleich, Sir. Der Eagle Creek Park, der Garfield Park, der White River State Park – es gibt allerhand sehr schöne Parks in Indianapolis, aber ich hatte keine Ahnung, dass dort Bären hausen.«
    »Wie Ihnen ohne Zweifel klar ist, war ich schon vor langer Zeit auf Bärenjagd, in Russland, als ich noch ein junger Mann war.«
    »Tut mir leid, ich vergesse einfach ständig, dass Sie Russe sind. Menschenskind, in Russland sind die Bibliothekare aber aus einem härteren Holz geschnitzt als hierzulande!«
    »Damals mussten alle härter sein als heute, das war unter der Diktatur. Aber in Russland war ich noch kein Bibliothekar.«
    »Ach, das ist ja interessant. Ich überlege mir nämlich auch, den Beruf zu wechseln. Was waren Sie denn in Russland?«
    »Leichenbestatter.«
    »Tatsächlich? Sie haben Leute einbalsamiert und so?«
    »Ich habe … Menschen für den Tod vorbereitet, Mr.Thomas.«
    »Das ist aber eine merkwürdige Ausdrucksweise.«
    »Überhaupt nicht. So sagt man in meiner alten Heimat.« Er sprach einige Worte auf Russisch und übersetzte dann: »›Ich bin Leichenbestatter. Ich bereite Menschen für den Tod vor.‹ Jetzt
bin ich allerdings Bibliothekar an der Staatsbibliothek von Indiana, North Senate Avenue Nummer einhundertundvierzig, gegenüber dem Kapitol.«
    Einen Moment lang lag ich schweigend da. »Ich muss sagen, Sie sind auch ziemlich drollig, Mr. Romanovich.«
    »Aber hoffentlich nicht

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