Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Schattenreiter

Schattenreiter

Titel: Schattenreiter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sarah Nikolai
Vom Netzwerk:
Landstraße ein, die in den Wald führte. Er sah offenbar keinen Grund, die Geschwindigkeit zu drosseln, und so rauschten die Bäume als verschwommene, surreale Gebilde an uns vorbei.
    »Kannst du es spüren?«, fragte er plötzlich.
    »Spüren?«
    Er schaltete das Radio aus und nahm den Fuß vom Gas. Es fühlte sich merkwürdig an, plötzlich so langsam zu fahren. Als bewegte man sich im Schneckentempo fort.
    »Die Magie des Waldes. Sie ist überall. In den Black Hills spürt man sie besonders stark, als wäre hier ein Knotenpunkt, ein Ballungsort. Ich schätze, das ist der Grund, warum er ihnen heilig ist.«
    Ich spürte nichts, außer mein heftig pochendes Herz. Und das hatte weniger mit Magie als vielmehr mit der Aufregung zu tun, die mich seit unserem Aufbruch erfasst hatte.
    »Kannst du das wirklich spüren?«, fragte ich erstaunt. Ich wusste, dass Rin es konnte. Aber der war im Gegensatz zu Isaac ein Kentaur, der naturgemäß stärker mit seiner Umgebung im Kontakt stand als ein Mensch. Ich beneidete Isaac um die Gabe, die er mir offensichtlich voraushatte.
    »Natürlich. Das Blut der Ti’tibrin fließt durch meine Adern. Auch wenn es schwächer ist als das ihre. Die Magie ist überall, sie haucht allem Leben ein. Jedem Baum, jedem Berg, jedem Tal.«
    Er kurbelte das Fenster herunter und atmete die kühle Luft ein, dann lenkte er den Truck auf einen Sandweg, der uns noch tiefer in das waldige Gebiet führte. Schon bald wuchsen die Büsche und Bäume so dicht, dass wir mit dem Truck nicht weiterkamen. Wir stiegen aus und gingen zu Fuß weiter.
    »Nur nicht schlappmachen«, sagte Isaac und nahm meine Hand, um mich einen Hügel hinaufzuziehen. Ich merkte schnell, dass es mit meiner Kondition nicht zum Besten bestellt war. Als wir endlich den Gipfel erreichten, musste ich mich hinsetzen, weil mein Kreislauf völlig durcheinander war. Mein Herz raste, und ich musste nach Luft schnappen.
    Isaac hockte sich neben mich. »Alles okay?«
    »Ja, ich muss nur wieder zu Atem kommen.« Verflucht. Ich war zwar nie eine Sportskanone gewesen, aber so schlimm kannte ich das nicht von mir. Sicherlich war ich noch vom Fieber geschwächt.
    »Ich bin oft hier, um meinen Körper zu trainieren. Das solltest du vielleicht auch tun«, meinte Isaac. »Bestimmt habt ihr auch in Berlin Möglichkeiten zum Trainieren.«
    Ich musterte ihn. Der Bursche sah tatsächlich wie ein Athlet aus. Er hatte auffällig breite Schultern. Die nackten Arme, die unter seinem kurzärmeligen T-Shirt hervorragten, wirkten ausgesprochen muskulös.Kein Wunder, dass es ihn nicht die geringste Anstrengung kostete, einen Hügel wie diesen im Eiltempo hinaufzusteigen.
    »Die Black Hills sind riesig«, sagte ich, nachdem ich mich erholt hatte. Wir blickten über ein grünes, sich im Wind wiegendes Blättermeer. Die meisten Bäume waren Ponderosakiefern und Fichten. Es gab aber auch vereinzelte Eichen. Wir befanden uns längst nicht am höchsten Punkt. Bei weitem nicht. Über uns türmten sich gewaltige, mit Bäumen bewachsene Berge, und einzelne Felsblöcke ragten imposant aus dem Baumwipfeln hervor wie Eisblöcke aus dem Meer.
    »Sie reichen bis Wyoming. Dort drüben ist der Harney Peak. Von hier aus kannst du ihn sehen.« Er drehtemich in die entsprechende Richtung und deutete zu dem Gipfel. »Das ist der höchste Berg der Black Hills.«
    Der riesige Felsen überragte alles andere. Auf seiner Spitze stand ein kleiner Turm, den ich trotz der Dunkelheit erkannte. Er musterte mich prüfend. Mein Atem hatte sich beruhigt, und auch meinem Herz ging es besser.
    »Geht’s wieder?«
    »Ja. Wir können weiter.«
    Er riss mich mit sich. Schon bald fühlten sich meine Beine wie Blei an. Ich kam kaum hinterher und brauchte eine zweite Pause, als wir unten ankamen. Isaac gönnte mir jedoch nur ein paar Minuten.
    »Es ist nicht mehr weit«, versprach er und drang mit mir immer tiefer in das Dickicht vor. Hier gab es kaum Trampelpfade, was darauf hindeutete, dass sich nur äußerst selten Menschen hierher verirrten. Dieser Teil des Waldes schien weitestgehend unberührt. Gräser und Büsche wuchsen wild durcheinander.
    »Dort vorne ist es. Ich erinnere mich genau an Dads Worte. ›Hier liegen deine Wurzeln‹, hatte er gesagt.«
    Die Bäume lichteten sich, gaben den Blick frei auf ein Gebirge. »Aber wo ist das Dorf?« Ich konnte es nicht sehen. Der Berg war im Weg. Und in dem Moment fielen mir Roys Worte ein. Ven’Callas ist für menschliche Augen nicht sichtbar. Das

Weitere Kostenlose Bücher