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Schattenriss

Schattenriss

Titel: Schattenriss Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Silvia Roth
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tiefblauen Augen seiner Frau blitzte eine Frage auf. Aber sie sprach sie nicht aus.
    »Ich darf nicht darüber reden«, sagte Verhoeven, und fast schämte er sich dafür, sie nicht ins Vertrauen ziehen zu können.
    Doch wenn Silvie über seine Zurückhaltung enttäuscht war, ließ sie es sich zumindest nicht anmerken. »Und Winnies Apartment?«, wechselte sie eilig das Thema. »Hast du alles erledigen können?«
    »Ich habe die Fische versorgt, ja.« Er lehnte sich zurück und wartete darauf, dass sie weitere Fragen stellte. Was für eine Art von Wohnung hat sie? Wie lebt sie?
    Aber seine Frau fragte nicht. Sie setzte sich einfach neben ihn und schlang ihm ihre grazilen Arme um die Schultern. Verhoeven fühlte die Wärme ihres Körpers durch den Stoff seines Hemdes und genoss den Augenblick der Nähe trotz der quälenden Gedanken, die ihm im Kopf herumgingen.
    »Ich glaube, sie ist schrecklich einsam«, sagte er nach einer Weile, auch, weil er das Gefühl hatte, mit seinen Eindrücken nicht länger alleine fertig zu werden.
    »Ja«, entgegnete seine Frau. »So etwas Ähnliches habe ich mir schon gedacht. Aber, weißt du ...« Sie dachte einen Augenblick nach. »Irgendwie habe ich das Gefühl, dass Winnie das aushält. Allein sein, meine ich.«
    »Vielleicht«, entgegnete er ohne Überzeugung.
    »Du denkst, es auszuhalten ist nicht genug?«
    »Ich denke, dass ich so nicht leben könnte.«
    Sie sah ihn an, und plötzlich lag ein Lächeln in ihren Augen. »Natürlich nicht. Weil du ein Hundetyp bist.«
    »Ein was?«
    Ihr Lächeln wurde breiter. Silvie Verhoeven verfügte über die bemerkenswerte Gabe, ein Thema immer dann mit ihrem trockenen Humor zu entschärfen, wenn es ins Sentimentale abzukippen drohte. Eine Eigenschaft, die ihnen schon mehr als einmal die Haut gerettet hatte. Oder zumindest den häuslichen Frieden. »Weißt du, grob gesehen gibt es zwei Kategorien von Menschen: Hundetypen und Katzentypen, wobei die Zugehörigkeit zu einer dieser Kategorien meiner Ansicht nach nichts mit Lebenserfahrung zu tun hat. Oder mit einer persönlichen Entscheidung.«
    Verhoeven lächelte auch. »Sondern?«
    »Es ist ganz einfach eine Anlage, denke ich. So wie Linkshändigkeit.« Sie sah ihn an. »Und genauso, wie manche Menschen abnehmen, wenn sie Stress haben, während andere immer dicker werden, gibt es Menschen, die Gesellschaft brauchen, und solche, die immer und überall einen Rückzugsraum haben möchten. Menschen, die es nicht ertragen, wenn man sie hinter einen weißen Zaun sperrt, ganz egal, wie hübsch er auch sein mag, und die bereit sind, für ihre Freiheit den Preis des Alleinseins zu bezahlen.«
    Freiheit, dachte Verhoeven. Ein Wort, das mir nie etwas bedeutet hat ...
    »Und jetzt solltest du ein bisschen schlafen«, bemerkte seine Frau mit Blick auf die Uhr an der Wand.
    Verhoeven schüttelte den Kopf. »Ich glaube kaum, dass mir das gelingen wird.«
    »Dennoch solltest du’s versuchen.«
    Er seufzte und stemmte seinen Körper, der mit einem Mal Tonnen zu wiegen schien, vom Sofa hoch.
    »Ach übrigens«, erklärte Silvie mit einer Miene, die ihn stutzig machte, ohne dass er sagen konnte, warum. »Es ist kein Kaffee mehr da.«
    Verhoeven, der bereits auf dem Weg zur Tür war, blickte sich irritiert um.
    »Tut mir echt leid, aber ich bin einfach nicht mehr dazu gekommen.«
    Die unerwartete Eröffnung seiner Frau verwunderte Verhoeven gleich in zweifacher Hinsicht. Zum einen, weil eine derart banale Information im Angesicht der Umstände fast pietätlos schien. Zum anderen, weil er wusste, wie akribisch Silvie darauf bedacht war, ihn mit allen nötigen und unnötigen Dingen des Alltags zu versorgen, seit sie den Plan, ihr abgebrochenes Jurastudium wieder aufzunehmen, vor etwas mehr als einem Jahr in die Tat umgesetzt hatte. Zu Beginn hatte es eine Reihe von ernsten Auseinandersetzungen zwischen ihnen gegeben, weil es Verhoeven ganz und gar nicht recht gewesen war, dass seine Frau etwas anderes tat, als sich um ihre gemeinsame Tochter zu kümmern. Aber schließlich hatte er eingesehen, dass die Rolle als Hausfrau und Mutter eine Powerfrau wie Silvie weder geistig noch körperlich auslastete, und auch, dass er selbst sich aus purer Verlustangst so vehement gegen eine Wiederaufnahme ihres Studiums gewehrt hatte. Nichtsdestotrotz versuchte seine Frau seither alles, um ihn vergessen zu machen, dass es in ihrem Leben auch noch etwas anderes als die Familie gab. Niemals zuvor hatte er so opulente Frühstücke und

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