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Schattenriss

Schattenriss

Titel: Schattenriss Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Silvia Roth
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Mann geredet und zum ersten und einzigen Mal in ihrer beileibe nicht immer einfachen Ehe ernsthaft über eine Scheidung nachgedacht hatte. Und das alles, obwohl die Eheleute Heller zu diesem Zeitpunkt beide schon weit über achtzig Jahre alt gewesen waren.
    Tja, dachte sie, indem ihr ihre eigenen Eltern in den Sinn kamen, mit denen sie seit nun fast anderthalb Jahren kein einziges Wort gewechselt hatte. Manchmal fällt der Apfel eben doch ein Stück weiter weg vom Stamm!
    Sie machte die Augen wieder auf und blinzelte in das Dunkel der Grube. Was Lübke wohl gerade tat, jetzt, in diesem Moment? Sie wusste, dass er schon unter normalen Umständen selten mehr als fünf Stunden Schlaf bekam. Oft hing er selbst an normalen Werktagen bis spät in die Nacht in seinem Labor herum, schrieb Berichte, überprüfte Beweise und trank dabei Unmengen an schwarzem Kaffee, bevor er endlich heimfuhr, in dieses komische krumme Haus, in dem er lebte und das eigentlich nicht viel mehr als eine umgebaute Gartenlaube war. Und in einer Nacht wie dieser verließ er sein Büro vermutlich noch nicht einmal zum Duschen, sondern war genau wie alle anderen fieberhaft damit beschäftigt, einen Weg zu finden, um sie hier rauszuholen.
    Sie werden kommen, dachte Winnie Heller, indem ihr scheinbar zusammenhanglos ihre Verbeamtung in den Sinn kam, die jetzt ein knappes halbes Jahr zurücklag. Sie hatte diese ihre Verbeamtung damals aufs Spiel gesetzt, um einen Mörder zu überführen, sie hatte sogar ihr Leben riskiert, in dem irrwitzigen Versuch, dem Betreffenden eine Falle zu stellen. Und auch damals waren ihre Kollegen im rechten Augenblick zur Stelle gewesen. Allerdings wussten sie an diesem Abend, wo ich bin, fügte sie einschränkend hinzu.
    Sie wollte sich gerade aufsetzen, als sich das Geräusch wiederholte, von dem sie erwacht war. Was, zum Teufel, war das? Und woher kamen diese seltsamen Laute? Orientierungslos blickte Winnie Heller sich um. Ein Stück links von sich erkannte sie Evelyns massige Gestalt. Die korpulente Krankenschwester hatte sich auf ihrer Matratze zusammengerollt wie ein Säugling und ließ von Zeit zu Zeit einen gedämpften Schnarcher hören, der Winnie entfernt an die Laute frisch geborener Ferkel erinnerte. Dicht neben ihr lag Jenna, den Kopf bescheiden auf den äußersten Zipfel der Matratze gebettet. Winnie war aufgefallen, dass die junge Bankangestellte seit der Ohrfeige ganz gezielt Evelyns Nähe suchte. Vielleicht, weil das entschlossene Handeln der Krankenschwester ihr Stärke und damit Schutz suggerierte. Die Blondine hatte die Hochsteckfrisur, die sie in der Bank getragen hatte, gelöst, und das Haar fiel ihr in weichen Wellen über Gesicht und Schultern. Wie friedlich sie aussieht, dachte Winnie mit einem Anflug von Befremden. Sie schläft vollkommen ruhig und gelassen. Dabei sind erst vor wenigen Stunden zwei ihrer Kollegen brutal ermordet worden. Mehr noch: Sie hat sogar dabei zugesehen ...
    Halt den Mund, Jenna!
    Winnie Heller fuhr erschrocken zusammen, als sie aus dem Dunkel neben sich plötzlich wieder Iris Kuhns Stimme zu hören glaubte. Der Eindruck war so real, dass sie eine ganze Weile mit wild pochendem Herzen dasaß, bevor sie sich wieder zu rühren wagte. Iris Kuhn ist tot. Und wahrscheinlich liegt ihre Leiche jetzt irgendwo dort oben. In diesem Eishaus von einer Fabrik. Ihre Augen glitten wieder zur Treppe hinüber. Ausweg oder Falle? Drei Türen. Und dann? Was mochte dahinter liegen?
    Von oben drang nichts als Stille herab, doch auf einen so trügerischen Eindruck würde sie sich ganz bestimmt nie wieder verlassen! Sie schob sich mühevoll noch ein Stück höher, bis sie vollkommen aufrecht saß, und massierte ihre Waden. Ihre Beine waren steif und völlig ausgekühlt, und ihr Rücken schmerzte von all den Unebenheiten, die sie ihm notgedrungen zugemutet hatte. Ihrem Empfinden nach war es mitten in der Nacht. Und obwohl sich an den Lichtverhältnissen nichts geändert hatte, bedeutete das vermutlich, dass die Entführer schliefen. Zumindest einige von ihnen. Sie dachte an Bernd. Warum hat er mich nicht erschossen?, überlegte sie, während sie ihre klammen Zehen bewegte. Wenn er mich tatsächlich bemerkt hat, dann weiß er auch, dass ich sein Gesicht gesehen habe und es vermutlich jederzeit und überall wiedererkennen würde. Warum, um alles in der Welt, geht er ein solches Risiko ein?
    Dieser Kerl ist ein Sadist, gab ihr Verstand ihr zur Antwort . Du hast doch gesehen, wie wenig gestresst er war,

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