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Schattenriss

Schattenriss

Titel: Schattenriss Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Silvia Roth
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als sein Komplize seinen Namen in alle Welt hinausposaunt hat. Mehr noch: Am liebsten hätte er Iris Kuhns Leiche seine Visitenkarte um den Hals gehängt.

 
     
     
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    »Bretagne«, verkündete eine angenehme Frauenstimme, und irgendwie klang es, als sei sie zutiefst davon überzeugt, dass sich allein durch dieses eine Wort alles Weitere sozusagen von selbst erkläre.
    Es war fast Mitternacht, doch Verhoeven hatte beschlossen, trotz der vorgerückten Stunde noch einmal sein Glück zu versuchen. Das Apartment seiner Partnerin hatte so ... ja, so vorläufig ausgesehen. So als ob Winnie Heller beständig auf gepackten Koffern säße. Und irgendwie fühlte er sich schon allein aus diesem Grund verpflichtet, den Mann aufzutreiben, mit dem sie einen Teil ihrer Freizeit zu verbringen schien. Auch wenn es ihm noch immer nicht recht in den Kopf wollte, dass zwischen Winnie Heller und Hermann-Joseph Lübke so etwas wie eine Freundschaft bestehen sollte. Ausgerechnet zwischen diesen beiden so denkbar ungleichen Charakteren ...
    »Haben Sie gehört?« Marie Wer-auch-immer, die Frau auf Verhoevens Notizzettel, hatte nicht gefragt, warum er sie so spät noch anrief. Sie hatte sich nicht beschwert, sie hatte ihn nicht für verrückt erklärt, und sie hatte auch nicht einfach aufgelegt. Stattdessen hatte sie auf seine Frage, ob sie wisse, wo sich Lübke derzeit aufhalte, mit diesem einen, irgendwie nackten Wort geantwortet.
    Bretagne ...
    »Er brauchte eine Auszeit«, sagte sie jetzt, ohne Verhoevens Antwort auf ihre Frage abzuwarten.
    »Sie meinen, Lübke macht Urlaub?«
    »Ich meine, er brauchte eine Auszeit.«
    Die Art, wie seine Gesprächspartnerin diese auf den ersten Blick banale Aussage wiederholte, ließ Verhoeven augenblicklich aufhorchen. Was ist wirklich los mit Lübke?, überlegte er. Warum hatte der Leiter der erkennungsdienstlichen Abteilung derart abrupt die Stadt verlassen? War er denn nicht, im Gegenteil, ein Mensch, der jede noch so kurze Dienstreise lange im Voraus plante und seinen Mitarbeitern selbst nach akribischster Einarbeitung noch unzählige Zettel mit Instruktionen hinterließ?
    Auszeit. Das klang irgendwie nach Lebenskrise. Nach Neuordnung oder Bedenkzeit oder etwas in dieser Richtung. Verhoeven versuchte, sich seine letzte Begegnung mit Hermann-Joseph Lübke ins Gedächtnis zu rufen. Anfang der Woche war das gewesen, irgendwo zwischen Büro und Aufzug. Aber war ihm bei dieser Gelegenheit irgendetwas an dem obersten Spurensicherer aufgefallen? Irgendetwas, das auf persönliche Probleme hingedeutet hätte? Ein Alarmsignal?
    Es war doch so viel passiert seither.
    So unendlich viel passiert ...
    »Wissen Sie, wann er zurückkommt?«
    »Das kommt ganz darauf an«, entgegnete die Frau, über die selbst in Lübkes Abteilung kaum jemand mehr zu wissen schien, als dass sie mit Lübke befreundet war.
    »Worauf?«
    Marie Wer-auch-immer antwortete nicht, und Verhoeven dachte daran, dass er keine Zeit für derlei Geplänkel hatte. Dass er ins Bett musste. Nachdenken. Essen. Lauter Dinge, die er sowieso nicht über sich bringen würde.
    »Ich müsste Lübke wirklich ganz dringend erreichen«, sagte er, »aber er geht nicht an sein Handy.«
    »Weil er’s nicht mithat.«
    »Er hat sein Handy zu Hause gelassen?«
    »Jupp nimmt nie ein Telefon mit, wenn er mal rausmuss. Und auch kein Laptop oder Blackberry oder wie diese Dinger heißen. Das Einzige, was er in solchen Fällen dabeihat, ist ein Schlafsack und ein Beutel mit frischen Unterhosen.« Sie kicherte, und ihr Lachen klang wie das Perlen eines sehr teuren Champagners. Vor Verhoevens innerem Auge erschien eine üppige Blondine, die sich auf einem chintzbezogenen Sofa aalte und sich einhändig Pralinen in den Mund schob, während sie telefonierte. Selbst jetzt noch. Selbst zu dieser späten Stunde.
    »Gibt es irgendeinen anderen Weg, wie ich ihn erreichen kann?«
    »Grundsätzlich schon, aber ich weiß nicht, ob ich... « Verhoeven nahm das Handy ans andere Ohr. »Es ist wirklich wichtig.«
    »Jupp ist ein Mensch, der sich für seinen Job beinahe umbringt«, wies ihn seine Gesprächspartnerin mit hörbarer Strenge zurecht. »Da sollte es doch wohl möglich sein, dass die Abteilung mal ein paar Tage ohne ihn auskommt, oder?«
    »Es geht nicht um die Abteilung, sondern ...« Verhoeven unterbrach sich, als ihm auffiel, dass er im Begriff war, zu viel zu sagen. Und genau wie vorhin, in Winnie Hellers Apartment, beschlich ihn das Gefühl, einen Verrat zu begehen.

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