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Schattenriss

Schattenriss

Titel: Schattenriss Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Silvia Roth
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vermutlich ins Badezimmer führte. Kaum etwas verriet eine persönliche Note. Gut, dieser Kerzenständer aus Kristall dort auf dem Tisch vielleicht, der so gar nicht zu Winnie Heller zu passen schien. Aber sonst? Verhoevens Augen glitten zu der betagten, aber sicher nicht gerade billigen Stereoanlage hinüber, die auf dem Boden neben der Balkontür stand. Und nur mit Mühe widerstand er der Versuchung, die CDs zu inspizieren, die rings um die Anlage verstreut lagen. Die leidige Frage, ob seine Partnerin Mozart mochte oder vielleicht doch hasste, verfolgte sie beide seit dem ersten Tag ihrer Zusammenarbeit. Verhoeven erinnerte sich genau daran, dass sie damals auf dem Weg zu ihrem ersten gemeinsamen Tatort gewesen waren, und eigentlich hatte er ja auch nur ein bisschen freundliche Konversation machen wollen. Das Eis brechen. Einen ersten Eindruck gewinnen. Irgendetwas in dieser Richtung. Und wenn eine junge Frau von sechsundzwanzig Jahren nun schon einmal Winifred hieß ... Verhoeven trat an eine ungeputzte Balkontür, hinter der ein winziger Freisitz lag. Was lag da näher, als sich nach ihrem Verhältnis zu klassischer Musik zu erkundigen?
    Doch das vermeintlich naheliegende Thema hatte sich als unerwartet brisant erwiesen, und Verhoeven hatte sich in den vergangenen anderthalb Jahren mehr als einmal dafür verflucht, es überhaupt jemals angeschnitten zu haben. Mal hatte seine Partnerin kategorisch bestritten, sich jemals näher mit klassischer Musik beschäftigt zu haben, um an anderer Stelle völlig unerwartet mit exzellenten Chopin-Kenntnissen aufzuwarten. Und im Zuge einer zurückliegenden Ermittlung hatte Winnie Heller Verhoeven schließlich mit dem Geständnis überrascht, dass ihre Schwester Elli eine begabte Nachwuchspianistin gewesen war, bevor sie durch einen tragischen Autounfall zunächst ihr Bewusstsein und sieben Jahre später auch ihr Leben verloren hatte.
    Verhoeven kehrte zum Aquarium zurück und ging in die Knie, um die Mitbewohner seiner Partnerin besser erkennen zu können. »Guten Tag«, sagte er, obwohl er nicht die geringste Ahnung hatte, ob Fische hören konnten. Aber er war fest davon überzeugt, dass sie die Veränderung spürten. Und dass sie sehr wohl mitbekamen, dass die Frau, die sie normalerweise versorgte, an diesem besonderen Abend nicht da war und an ihrer Stelle ein Fremder zu ihnen hereinspähte.
    Einer der Fische, Verhoevens laienhafter Schätzung nach ein Wels, kam dicht an die Scheibe und schien ihn anzusehen. Also legte er eine Hand gegen das kühle Glas, während er mit der anderen Werneuchens Ratgeber aufschlug. Weit hinten, wo das Register war.
    »W wie Wels«, murmelte er, während sein Zeigefinger suchend über die Einträge glitt. Doch wie er resigniert feststellen musste, dachte das schlaue Buch gar nicht daran, sich mit Überbegriffen aufzuhalten.
    Panzerwels, Nadelwels, Zwergschilderwels und ... Gütiger Himmel! Was, um Gottes willen, war ein Schmuckflossenfiederbartwels? Da trieb einen ja schon allein das Wort an den Rand des Wahnsinns!
    Kopfschüttelnd legte Verhoeven das Buch beiseite und griff stattdessen wieder nach der Futterdose. Je nach Beckengröße und Besatz empfiehlt sich eine Gabe von ... Er sah hoch und versuchte eine grobe Schätzung der Population. Doch er hatte wenig Übung in solchen Dingen, und die Tiere verhielten sich nicht gerade kooperativ, sondern glitten in dem geräumigen Becken hin und her, wie es ihnen gerade gefiel. Das Ergebnis war ein mehr oder minder unübersichtliches Durcheinander. Sofern nicht eine zusätzliche Gabe von Vitamin oder sonstigen Ergänzungspräparaten erfolgt ... Na super, dachte Verhoeven entnervt, als ob solche Informationen irgendwie weiterhelfen würden!
    Er sah wieder die ausladende Mangrovenwurzel an, die Winnie Hellers Hausgenossen als Versteck diente, und entschied sich nach kurzem Überlegen für einen Kompromiss aus sämtlichen auf der Packung vorgeschlagenen Einzeldosierungen. Er öffnete die Dose, schob die Abdeckung des Beckens beiseite und ließ ein paar Fingerspitzen voll Trockenfutter in das türkisblaue Wasser rieseln. Und sofort kamen Winnie Hellers Mitbewohner an die Oberfläche geschwommen und schnappten nach den schwebenden Teilchen, als ob sie seit Monaten kein Futter mehr bekommen hätten. Einzig der unbestimmbare Wels blieb, wo er war, und ließ seine Barteln suchend über den Grund des Beckens gleiten. Verhoeven hoffte inständig, dass genug Futter bis zu ihm nach unten gelangen würde, und

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