Schattenriss
und hoffen, dass sie uns glauben!
Wir müssen es wohl oder übel zuerst in dem rechten Raum versuchen , sagte Quentins Blick, kaum dass sie zu ihm hinübersah.
Sie nickte, auch wenn sie am liebsten geradewegs durch die mittlere Tür gegangen wäre. Insgeheim war sie zutiefst davon überzeugt, dass gerade dieser Durchgang die größte Chance bot, einen Fluchtweg zu finden. Auch wenn sie nicht genau sagen konnte, warum.
Und jetzt?, fragten Quentins Augen, als sie den Raum, in dem der Fernseher lief, beinahe erreicht hatten.
Jetzt gehen wir rein , gab sie ihm stumm zur Antwort. Was sonst?
»Hallo?«, rief sie halblaut. »Ist da jemand?«
Keine Antwort.
Und seltsamerweise auch keine Fernsehgeräusche.
Nichts als dieses unstete blaue Flackern, das ihrer Umgebung eine Schwindel erregende Eigendynamik verlieh.
»Hallo?«
Aus den Augenwinkeln registrierte Winnie Heller die tiefe Skepsis im Blick ihres Begleiters. Offenbar traute Quentin Jahn dem Frieden ebenso wenig wie sie selbst.
Wenn sie wollten, hätten sie euch längst abgeknallt.
Sie holte tief Luft und schob beherzt den Kopf um die Ecke. »Entschuldigung, aber wir haben einen Not... «
Weiter kam sie nicht, denn Quentin Jahn packte unvermittelt ihren Arm und bedeutete ihr zugleich mit der freien Hand, dass sie still sein solle. Seine schmalen Asketenlippen formten eine Reihe von Worten, und mit ein paar Sekunden Verzögerung gelang es Winnie Heller sogar, zu verstehen, was er meinte.
Sie sind nicht hier. Zumindest im Augenblick nicht. Und genau das könnte unsere Chance sein ... Nutzen wir sie!
Winnie Heller ging voran, und sie betraten einen Raum, der recht groß und annähernd quadratisch war. An der hinteren Wand lagen zwei Matratzen auf dem Boden, ganz ähnlich der, die die Entführer auf dem Grund der Grube platziert hatten. Auf den Matratzen lagen Schlafsäcke, die augenscheinlich aus den Beständen der Bundeswehr stammten. Und an einem rostigen Haken an der Wand entdeckte Winnie Heller Bernds hellen Sommermantel. Ohne den würde er garantiert nie abhauen, dachte sie, und die Erkenntnis verstärkte das Gefühl von Beklemmung, das durch ihr Unterbewusstsein geisterte, seit sie die Grube verlassen hatten.
Also sind sie doch noch in der Nähe , las sie in den Augen ihres Begleiters, der ihrem Blick gefolgt war.
Natürlich sind sie das, dachte sie. Diese Kerle haben viel zu viel riskiert, als dass sie sich so einfach davonmachen würden.
Neben den provisorischen Schlafstätten der Entführer stapelten sich leere Pizzakartons auf dem auch hier vor Dreck starrenden Boden. Winnie Heller fiel auf, dass sie aus unterschiedlichen Pizzerien stammten, und sie folgerte daraus, dass die Geiselnehmer entschlossen waren, nicht das geringste Risiko einzugehen. Links neben der Tür stand eine leere Obstkiste mit einem reichlich veralteten Fernseher, auf dem n-tv lief. Dahinter befand sich ein schwarzer Kasten, Winnies Schätzung nach eine Batterie oder eine Art Notstromaggregat. Drei Campingstühle, ein rostiger Rollcontainer, der aus einem der verwaisten Büros stammen mochte, und eine Reihe von Spinden an der rechten Wand komplettierten die karge Ausstattung.
Hinter einem der Spinde entdeckte Winnie Heller ein paar eingeschweißte Sixpacks mit Billigcola und Mineralwasser, dazu Gepäck, ein Rucksack und zwei große schwarze Reisetaschen.
Was mag da wohl drin sein?, fragten Quentins graue Augen, die in dem bläulichen Dämmerlicht wie Eis wirkten.
Frisch gewagt ist halb gewonnen, dachte Winnie Heller, indem sie ihrem Begleiter mit einer knappen Geste bedeutete, dass sie sich einig waren.
Sie nahm sich als Erstes den Rucksack vor, weil sie sah, dass Quentin bereits auf die beiden Reisetaschen zusteuerte. Als sie das Gepäckstück etwas von der Wand wegziehen wollte, bemerkte sie, dass es leicht war. Im Grunde viel zu leicht, um irgendwelche Überraschungen zu enthalten. Aber um ganz sicher zu gehen, schob sie trotzdem einen Arm hinein. Ihre Finger fanden ein paar Kleidungsstücke und etwas, das sich wie ein Hartschalenetui anfühlte. Winnie Heller tastete nach dem Verschluss, aber die Hülle, die vielleicht ein Fernglas oder ein Nachtsicht gerät geborgen hatte, war leer.
Verlier keine unnötige Zeit, da drin ist nichts zu holen!
Sie zog den Arm zurück und wandte sich den Spinden zu. Die Türen quietschten, als sie sie aufzog, und das Erste, was sie im Flackerlicht des Fernsehers erkennen konnte, waren rostige Kleiderstangen und verblichene Pin-ups an den
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