Schattenriss
dabei auch nur im mindesten den Eindruck zu machen, sich verteidigen zu wollen. »Wir haben noch genau zweiundzwanzig Stunden und neunzehn Minuten Zeit, um das Versteck der Kidnapper zu finden.«
»Wer weiß«, spottete Brennicke, »vielleicht sind die Kollegen, die die in Frage kommenden Objekte abklappern, schon dreimal daran vorbeigefahren, ohne es zu merken.« Er nahm seine Brille ab, hielt sie gegen das Licht und setzte sie in aller Gemütsruhe wieder auf. Dann wurde er schlagartig ernst. Ernst und gefährlich: »Ach übrigens ... Es ist Ihnen doch klar, dass sich die Presse nicht länger aus der Sache heraushalten lässt, oder?«
Die Frage war rein rhetorisch, und doch brachte sie Goldstein umgehend wieder in Rage. »Weder Sie noch sonst jemand wird vor morgen Abend irgendwelche Informationen herausgeben, haben Sie verstanden?«
Verhoeven hatte den Eindruck, dass Werner Brennicke innerlich feixte, als er dem Unterhändler entgegenhielt: »Aber die Öffentlichkeit hat ein Recht, zu ...«
»Kein Sterbenswort«, unterbrach ihn Goldstein mit zornroten Wangen. »Sonst können Sie wirklich sechs Särge bestellen. Und ich meine Sie ganz persönlich.«
»Und was wollen Sie den Angehörigen der ... Hand sagen?« »Nichts.«
»Was meinen Sie mit nichts?«
Noch immer musste sich Richard Goldstein sichtlich zwingen, ruhig zu bleiben. »Ich meine, dass es offiziell weder eine Geiselnahme noch eine Tote gibt. Falls kein Wunder geschieht, ist die Geldübergabe unsere einzige Chance, das Versteck rechtzeitig aufzustöbern. Und gerade die ist erfahrungsgemäß die Achillesferse einer jeden Geiselnahme, weil sie voraussetzt, dass beide Seiten ihre Deckung verlassen und aktiv werden.« Er warf Werner Brennicke einen Blick zu, der eher flehentlich als renitent wirkte. »Also bitte, erschweren Sie uns unsere Arbeit nicht unnötig, indem Sie etwas publik machen, das die Nervosität der Geiselnehmer noch erhöht.«
Die Geldübergabe, echote etwas hinter Verhoevens Stirn. Aber es war schließlich nicht nur Geld, was die Entführer forderten. Es war auch eine Information. Ein Name. Wie, um Himmels willen, sollen wir an die geforderte Information kommen, wenn wir nicht einmal wissen, wo wir suchen müssen, dachte Verhoeven mit wachsender Verzweiflung. Wo kann man ansetzen? Was ist der Schlüssel?
»Hey, Leute«, riss Luttmanns Stimme ihn aus seinen Überlegungen. »Ich glaube, wir haben sie!« Er drehte sich wieder zu seinem Bildschirm um. »Ylva Bennet. Dreiundsechzig Jahre alt. Sparkassenkundin seit April 1992.«
Sofort sprang Goldstein aus seinem Sessel auf. »Hast du ein Foto der Frau?«
»Warte, warte, warte ...« Luttmann klickte sich in Windeseile durch diverse Fenster, von denen der ungeschulte Betrachter nicht viel mehr als einen farbigen Blitz wahrnahm, bis auf dem Monitor schließlich das Abbild eines Personalausweises erschien. Die Frau auf dem Passfoto war deutlich jünger als auf dem Phantombild, aber es handelte sich ganz klar um ein und dieselbe Person. »Ach du Schreck, das fasse ich ja jetzt nicht!«, entfuhr es dem jungen Familienvater, dessen Aufmerksamkeit sich bereits auf die Daten richtete, die neben dem Foto vermerkt waren.
»Was denn?«, drängte Goldstein.
»Ylva Bennet stammt aus der ehemaligen DDR. Sie wurde in Magdeburg geboren.«
Goldstein stemmte die Hände gegen Luttmanns Stuhl. »Okay«, rief er, von einem Moment auf den anderen wie elektrisiert. »Das ist doch ein Ansatz! Wir werden mehrgleisig vorgehen. Monika fährt rüber zu den Kollegen und befragt den Jungen, dem das Päckchen mit der Hand übergeben wurde. Du«, er sah wieder Luttmann an, »findest raus, wo und wie lange Ylva Bennet in der DDR gelebt hat und ob die Stasi eine Akte über sie hatte. Falls ja, verschaff dir Einsicht. Wie du das machst, ist mir ...«
»... ist dir wurscht, ich weiß«, stöhnte der junge Kriminaltechniker.
Doch Goldstein reagierte nicht. »Wir brauchen so viele Informationen über diese Frau und ihr Leben, wie wir kriegen können«, fuhr er fort »Und natürlich muss sofort einer von uns hinfahren und mit ihr sprechen ...« Er sah Verhoeven an. »Wollen Sie das übernehmen?«
Verhoeven spürte, das Angebot des Unterhändlers war als Zugeständnis gemeint. Als Anerkennung dafür, dass er mit seiner Theorie richtig gelegen hatte. Aber es war ihm noch immer nicht möglich, seine Empörung über Goldsteins leichtfertigen Verrat zu verbergen. »Wie Sie meinen«, entgegnete er.
Dann nahm er seine Jacke von
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