Schattenriss
der Nähe sein, dachte er, indem er die Straße hinter sich nach in Frage kommenden Fahrzeugen absuchte. Wenn sie sichergehen wollen, dass ich mich an ihre Anweisungen halte, müssten sie eigentlich permanent Sichtkontakt halten. Er blickte abermals in den Rückspiegel, doch er konnte nichts entdecken. Weder ein verdächtiges anderes Fahrzeug noch das Team, das Hubert Jüssen zu seiner Überwachung angefordert hatte.
»Haben Sie ein Funkgerät im Wagen?«
»Nein.«
»Lügen Sie?«
»Nein.«
»Wir werden ja sehen.«
Ein Mann wie Teja wird immer einen konkreten Grund brauchen, sich auf jemanden einzulassen. Und deshalb darf er Sie auf keinen Fall bei einer Lüge ertappen.
»Hören Sie jetzt gut zu«, schepperte Voigts Stimme aus dem Lautsprecher der Freisprecheinrichtung. »Sie biegen an der übernächsten Kreuzung rechts ab. Dann fahren Sie die zweite Straße links rein, bis Sie einen kleinen Spielplatz sehen. Neben den Schaukeln stehen zwei Bänke mit einem Papierkorb dazwischen. Unter dem Boden dieses Mülleimers finden Sie ein Handy. Es ist bereits eingeschaltet. Sie haben genau zwei Minuten, aber zuerst ...«
Verhoeven spürte, wie seine Nackenmuskeln hart wurden.
»... zuerst werfen Sie jetzt Ihr eigenes Handy aus dem Seitenfenster. Und zwar so, dass ich Sie sehen kann.«
Wo zum Teufel war dieser Kerl? Verhoevens Augen suchten wieder den Rückspiegel. War er überhaupt da? Oder tat er nur so?
Manchmal ist ein guter Bluff besser als jede noch so wirkungsvolle Strategie , flüsterte Richard Goldstein hinter seiner Stirn.
»Wenn Sie mich verarschen, können Sie Ihre Partnerin in Zukunft auf dem Friedhof besuchen, klar?«
Verhoevens Finger tasteten nach dem elektrischen Fensterheber, und die Scheibe glitt lautlos herunter.
»Und kommen Sie bloß nicht auf die Idee, zwischendurch irgendwo anzuhalten. Oder sonstwie Kontakt aufzunehmen. Haben Sie verstanden?«
»Ja.«
Durch das offene Fenster flatterte Wind. Frisch, fast kalt. Das ist das dicke Ende , höhnte eine imaginäre Anna. Nun ist es doch noch gekommen! Hab ich’s dir nicht gesagt?
Verhoeven dachte an seine Frau und die Handvoll Kurznachrichten, die auf seinem Handy gespeichert waren. Nichts Verfängliches, aber beiläufige kleine Liebesbeweise, die ihm wichtig waren und die er sich hin und wieder anschaute, wenn er eine kurze Auszeit brauchte. Wohin wird das hier führen?, überlegte er, indem ihm plötzlich aufging, dass Maik Voigt in seinem letzten Gespräch mit Goldstein nicht mehr explizit auf den Namen zu sprechen gekommen war, der ihn interessierte, und er fragte sich, was der Grund dafür war.
Dann streckte er den Arm aus dem Fenster und schleuderte sein Handy aus dem fahrenden Wagen.
Im Rückspiegel sah er, wie es zunächst ein ganzes Stück über den Asphalt schlitterte, bevor es am seitlichen Fahrbahnrand liegen blieb.
Doch keines der nachkommenden Fahrzeuge schenkte dem Gerät auch nur die geringste Beachtung.
9
»Verflucht«, schimpfte Goldstein. »Das erschwert die Sache ungemein.« Hubert Jüssen nickte. »Auf diese Weise können wir ihn nicht mehr verfolgen. Aber meine Leute sind dran.«
»Sie dürfen ihn auf keinen Fall verlieren. Sobald die Übergabe stattgefunden hat, ist der Kuchen ein für allemal gegessen.« Wem sagen Sie das?!, spottete Jüssens Blick.
Doch Goldstein stand bereits wieder neben seinem Computerspezialisten. »Was ist mit Aufnahmen von Selinger? Gibt es alte Fotos von ihm, die uns einen Anhaltspunkt auf seine jetzige Identität liefern könnten?«
»Ich habe mich schon umgetan«, erwiderte Luttmann. »Aber Selinger scheint von jeher sehr vorsichtig gewesen zu sein. Das einzige Bild, das ich in der Kürze der Zeit gefunden habe, ist eine Aufnahme, die gleich zu Beginn seines Studiums entstand.«
Goldstein rieb sich das Kinn, an dem die Bartstoppeln bereits wieder dunkel hervortraten. »Das bedeutet, er ist noch ein junger Mann damals.«
»Nicht nur das.« Luttmann projizierte das Foto, das er meinte, an die Wand neben Walther Liesons Kamin.
»Scheiße, ist das unscharf«, echauffierte sich Goldstein.
»Ich habe schon getan, was ich konnte«, entgegnete Luttmann entschuldigend. »Besser wird das nicht.«
»Großer Gott, das könnte jeder sein«, sagte Jüssen.
Goldstein sah zu Monika Zierau hinüber. »Erkennst du auf dem Bild eine unserer Geiseln wieder?«
Die Psychologin schüttelte bedauernd den Kopf.
»Gut, dann zäumen wir das Pferd von hinten auf«, entschied Goldstein,
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