Schattenriss
tauchten auf und verlöschten wieder, bevor Verhoeven auch nur im Ansatz erfassen konnte, was sie zeigten. Doch Luttmann schien das atemberaubende Tempo der vor ihm aufblitzen den Informationen nicht das Geringste auszumachen. Sein Zeigefinger glitt über das Touchpad, änderte Einstellungen, wählte Ausschnitte, verwarf dieses und vergrößerte jenes, ohne dass der junge Softwarespezialist auch nur ein einziges Mal geblinzelt hätte.
In Hinnrichs’ Rücken öffnete sich die Tür der Einsatzzentrale, und eine kleine, erschreckend dünne Frau trat herein. Sie blieb kurz stehen, um sich zu orientieren. Als sie Luttmann entdeckte, huschte ein leises Lächeln über ihre Lippen.
Auf der Rückfahrt ins Präsidium waren Verhoeven und sein Vorgesetzter in groben Zügen über die Zusammensetzung der hastig ins Leben gerufenen Sonderkommission informiert worden, sodass Verhoeven das zwar nicht im klassischen Sinne schöne, aber durchaus sehr reizvolle Gesicht sofort einordnen konnte. Monika Zierau war promovierte Psychologin, hatte jedoch neben ihrem Studium auch die Ausbildung zum gehobenen Kriminaldienst des Bundes mit Auszeichnung absolviert. Sie hatte einen Lehrauftrag für forensische Psychologie an der Kieler Universität, hielt viel beachtete Seminare im In- und Ausland und galt als Richard Goldsteins Mittel der Wahl, wo immer es um die Erstellung psychologischer Profile von Geiselnehmern und ihren Opfern ging. Darüber hinaus war Monika Zierau viele Jahre lang in Krisengebieten wie Iran, Ruanda und Afghanistan tätig gewesen und hatte dem Vernehmen nach auch dort in verschiedenen Fällen von Menschenraub als Beraterin fungiert.
»Ich habe schon gehört, dass du wieder mit an Bord bist«, begrüßte sie Luttmann, der sie umgehend mit Verhoeven und Hinnrichs bekannt machte.
»Monika und ich haben letztes Jahr bei einer Geiselnahme in Berlin zusammengearbeitet«, erklärte er den beiden Kollegen vom KK 11, während die Psychologin ihre Aktentasche auf den Tisch wuchtete und sich eines der chromblitzenden Stuhlmonster heranzog. »Arbeitsloser Exsoldat mit Scharfschützenausbildung. Hatte in der Tagesstätte seiner jüngeren Tochter neun Kinder und zwei Erzieherinnen in seine Gewalt gebracht, um seine Ex dazu zu bewegen, die Scheidung zurückzunehmen.« Luttmann warf einen kurzen Blick auf seinen Monitor, wo ein blinkender Balken einen noch nicht abgeschlossenen Ladevorgang dokumentierte. »Der Kerl war als hypernervös und gewaltbereit bekannt und hielt einer der Erzieherinnen seine Beretta an die Schläfe, während er seine Forderungen in den Hof hinausbrüllte.«
Verhoeven spürte, wie die plastische Schilderung dieser ein Jahr zurückliegenden Geiselnahme eine Reihe von äußerst bedrängenden Assoziationen in ihm auslöste.
Und auch Hinnrichs verzog das Gesicht, als wolle er sagen: Gott bewahre, dass wir uns irgendwann im Lauf der nächsten Stunden oder Tage einer solchen Situation gegenübersehen.
»Und dann?«, fragte der junge SEK-Beamte, der Hinnrichs nur ein paar Minuten zuvor ebenso entschieden wie höflich das Rauchen untersagt hatte.
»Nach siebeneinhalb Stunden drohte die Lage mit einem Mal zu kippen«, entgegnete Luttmann, indem er eine neue Cola aus seinem Laptopkoffer zog und die Dose zum Öffnen ein Stück von sich weg hielt. »Den Grund für diese drohende Eskalation konnte damals keiner so richtig definieren, aber es war sonnenklar, dass dieser Typ immer nervöser wurde. Also hat Goldstein eine junge Beamtin ausgewählt, um dem Typen ’ne Tüte Fast Food samt Handy reinzubringen und ihn auf diese Weise wieder ein bisschen herunterzukühlen. Er wollte zuerst selbst gehen, aber Monika hat ihn umgestimmt. Sie meinte, Männer kämen bei dem Kerl grundsätzlich nicht so gut.«
Monika Zierau zuckte mit den Achseln, als sich die Blicke der anwesenden Beamten auf sie richteten. Sie war kaum größer als eins sechzig, machte jedoch trotz ihrer Zierlichkeit einen robusten, körperlich fitten Eindruck. Das halblange, mittelblonde Haar der Psychologin war lässig zurückgekämmt, und Verhoeven bemerkte ein paar feine graue Strähnen, die natürlich aussahen. Außerdem verfügte die Profilerin über ein Paar annähernd schwarzer Augen, was bei naturblonden Frauen äußerst selten vorkam. Die Kombination aus Hell und Dunkel wirkte überaus apart und wurde noch von den deutlich hervortretenden Wangenknochen der Psychologin unterstrichen, die jedoch zum Schnitt ihres Gesichts zu gehören schienen und nicht
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