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Schattenriss

Schattenriss

Titel: Schattenriss Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Silvia Roth
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gern zur Gegnerin hat!
    Ihr Blick wanderte weiter zu dem Mann, der sich ihr wenig schmeichelhaft als »arabisch anmutender Kerl mit Bauchansatz« eingeprägt hatte und dem der nackte Angstschweiß auf der hohen, bogenförmig gewölbten Stirn stand. Er kauerte neben der Brünetten auf dem Boden und sah aus, als würde er jeden Augenblick in Ohnmacht fallen. An seinem Ringfinger prangte ein auffälliger Goldring. Die Dicke mit dem Einkaufsroller hatte sich unterdessen breitbeinig auf der kahlen Matratze niedergelassen und starrte mit leeren Augen zum Rand der Grube hinauf. Auch ihre teigigen Züge muteten irgendwie alterslos an, was vielleicht an den diffusen Lichtverhältnissen liegen mochte. Vielleicht aber auch nicht.
    Nach kurzem Zögern verbuchte Winnie Heller die Einkaufsroller-Dame auf Mitte bis Ende fünfzig. Unter dem geöffneten Parka trug die Frau eine großgemusterte Bluse in auffälligen Orange tönen, die über dem üppigen Busen sichtbar auseinanderklaffte, und dazu eine großzügig geschnittene schwarze Hose. Tja, meine Liebe, dachte Winnie, hättest du dich vorhin in der Bank ein bisschen mehr beeilt, wäre dir vermutlich die unangenehme Erfahrung einer Geiselhaft erspart geblieben. Und mir auch.
    Apropos Geiselhaft ...
    Sie sah sich abermals in der Grube um. Hier unten gab es – sah man von der Matratze, die die Dicke so selbstverständlich okkupiert hatte, einmal ab – keinerlei Sitzgelegenheiten, keine Decken, keine Wärmequelle und kein Licht.
    Was, zum Teufel, machen wir, wenn wir pinkeln müssen?, fuhr es Winnie durch den Sinn. Wie sollen wir uns warm halten, wenn es Nacht wird? Wo sollen wir schlafen?
    Sie dachte an die Uhren, die die Männer ihnen abgenommen hatten, und überlegte, wie spät es inzwischen sein mochte. War sie schon hungrig? Nein, aber das wollte nicht allzu viel besagen. In Stresssituationen verspürte sie selten Hunger oder Durst. Und normalerweise auch keine Müdigkeit. Nichtsdestotrotz müssen wir zumindest trinken, dachte sie. Und je nachdem, wie lange sich diese Sache hinzieht, müssen wir auch essen. Also werden diese Kerle nicht umhinkönnen, uns zumindest mit dem Nötigsten zu versorgen. Schließlich verkörpern wir so was wie das Faustpfand, mit dem sie pokern. Und wenn sie verhandeln wollen, müssen sie ihren Gegenwert erhalten. Sie zog fröstelnd die Schultern hoch, bevor sie einschränkend hinzusetzte: Wenigstens einige von uns.
    Sie sah wieder nach der Treppe, über die die Entführer verschwunden waren, und fragte sich, was darüber liegen mochte. Leider Gottes verstand sie zu wenig von Architektur, um einschätzen zu können, in was für einer Art von Industrieanlage sie sich befanden, aber gemessen an den Dimensionen, die allein dieses Becken hatte, handelte es sich vermutlich um ein ziemlich weitläufiges Gebäude. Weitläufig und damit schwer zu überwachen, ergänzte sie im Geiste. Und wenn die Kollegen erst einmal wissen, wo wir sind ...
    »Das ist jetzt vielleicht eine blöde Frage ...«
    Sie hatte sehr leise gesprochen, trotzdem wandten sich die Gesichter ihrer Mitgefangenen augenblicklich ihr zu.
    »... aber ist irgendjemand von Ihnen zufällig im Besitz eines Handys oder Blackberrys?«
    Die Dicke und der ängstliche Araber schüttelten umgehend den Kopf, woraufhin Winnie Heller ihre imaginären Notizen zu Letzterem eilig um den Zusatz »Versteht mühelos Deutsch« ergänzte.
    »Ich hatte ein Handy, aber das haben sie mir schon in der Bank abgenommen«, erklärte der unscheinbare Anzugträger mit beinahe entschuldigendem Achselzucken.
    Winnie Heller nickte. »Und sonst?«, fragte sie. »Ein Hörgerät vielleicht? Oder sonst irgendein Apparat, mit dem sich Kontakt zur Außenwelt aufnehmen ließe?« Sie lachte. Tu so, als ob du einen Scherz daraus machst, und beobachte ihre Gesichter!
    »Glauben Sie mir, wenn ich etwas in dieser Richtung hätte, würd’ ich’s längst benutzt haben«, erwiderte Iris Kuhn spöttisch.
    Oh ja, dachte Winnie Heller, davon bin ich überzeugt!
    »Entschuldigung«, flüsterte Jenna, die Blondine in Grau, mit bangem Blick Richtung Treppe. »Aber vielleicht sollten wir jetzt lieber still sein. Ich meine, wenn wir tun, was sie sagen, wird uns schon nichts passieren.«
    »Da wäre ich mir an Ihrer Stelle nicht ganz so sicher«, entgegnete der Mann, der sich Quentin Jahn nannte.
    Jenna starrte ihn an. »Aber dieser Kerl, der Anführer, hat doch gesagt ...« Sie brach ab und schürzte die Lippen wie ein enttäuschtes Kind.
    Ich

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