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Schattenriss

Schattenriss

Titel: Schattenriss Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Silvia Roth
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der ihr Sorgen bereitet hatte.
    Nein, nein, das ist nichts , hatte er sie beruhigt, während er ihr aus Hahnenkämmen gewonnene Hyaluronsäure mit einer hauchfeinen Nadel direkt unter die Haut gespritzt hatte. Eine harmlose kleine Lichtschwiele, nichts weiter. Mit so einer Sache können Sie gut und gern dreißig oder vierzig Jahre leben, ohne dass sich irgendwas verändert. Aber wenn es Sie beunruhigt, mache ich Ihnen das gleich mit weg.
    Inger stoppte vor der nächsten roten Ampel und nahm einen Schluck aus der Wasserflasche, die im Becherhalter neben dem Lenkrad steckte. Seit ihrer Heirat nahm sie die Welt irgendwie auf zwei verschiedenen Ebenen wahr. Die, auf die sie durch ihre Hochzeit mit dem erfolgsverwöhnten Hobbygolfer Walther Lieson geraten war. Und die, auf der sie sich bewegen würde, wenn sie noch immer Inger Stettler hieße.
    Inger, die Bankiersgattin.
    Und Inger, die Stewardess.
    Als Inger, die Stewardess, hätte ich drei Monate auf eine Entwarnung wegen dieses blöden Pigmentflecks warten müssen, dachte sie, indem sie sich das leidige Pflaster mit einem Ruck vom Arm riss und es in den Aschenbecher stopfte, in dem bereits wieder vier Kippen lagen. Und wie immer, wenn sie sich eines Vorteils bewusst wurde, den sie ihrer Meinung nach nicht verdient hatte, empfand sie einen Anflug von Schuld.
    Wahrscheinlich war es auch eben dieses Schuldgefühl, das sie dazu brachte, gegen den ausdrücklichen Willen ihres Mannes an drei Nachmittagen in der Woche am Empfang einer Sprachenschule zu sitzen und Teilnehmerkarten zu quittieren. Du wechselst da doch nur Geld, pflegte Walther kopfschüttelnd zu bemerken, wann immer die Sprache auf ihren Job kam, und wenn Inger das symbolische Gehalt bedachte, das Nina, die Besitzerin der Schule, ihr zahlte, konnte sie nicht umhin, ihrem Mann zuzustimmen. Nichtsdestotrotz hatte sie das dringende Gefühl, dass es allein dieser Job war, der zwischen ihr und dem Wahnsinn lag. Die letzte Bastion ihres stetig verblassenden Selbstwertgefühls.
    Vielleicht werde ich eines Tages einfach verschwunden sein, dachte sie. Ich löse mich in Luft auf, und niemand wird den Verlust bemerken.
    Fast so, als ob es mich nie gegeben hätte ...
    Im selben Augenblick hielt unmittelbar hinter ihr ein schwarzer Geländewagen. Die Scheiben waren dunkel getönt, sodass Inger von dem Fahrer im Grunde nicht viel mehr als einen Umriss erkennen konnte. Aber an seinen Händen sah sie, dass es ein Mann war. Und seltsamerweise empfand sie bei seinem Anblick wieder diese leise, durch nichts zu erklärende Bedrohung.
    Sie beugte den Kopf noch ein Stück weiter nach rechts, bis ihre eigenen Augen ihr aus dem Rückspiegel entgegenblickten. Kein Zweifel, sie war sichtbar – ein Zustand, der sie immer dann besonders wunderte, wenn er nicht mit ihrer inneren Einstellung korrespondierte. Wenn es danach ginge, wie ich mich fühle, dachte Inger, müssten die Leute eigentlich geradewegs durch mich hindurch blicken!
    Sie seufzte und ließ sich wieder in den festen Sportsitz ihres Coupés zurücksinken.
    Natürlich konnte sie das, auffallen. Wenn sie es darauf anlegte, konnte sie eine überaus attraktive Frau sein, und früher hatte sie diese ihre Attraktivität – das musste sie zugeben – auch weidlich ausgenutzt. Du machst unter Garantie mal eine gute Partie, hatte Dorén, ihre Lieblingskollegin bei der Lufthansa, ihr immer prophezeit und dann augenzwinkernd die Bedienung in der Zweiten Klasse übernommen.
    Damit du bei den Betuchten freie Bahn hast ...
    Das ist zweifellos das Thema meines Lebens, dachte Inger mit einem Anflug von Selbstironie. Erste Klasse, zweite Klasse. Dazwischen ein simpler Vorhang, ein ebenso lächerliches wie unüberwindliches Hindernis.
    Sie schielte nach der handschuhweichen Wildlederjacke auf dem Beifahrersitz und überlegte, ob sie es schaffen würde, sie anzuziehen, bevor die Ampel auf Grün sprang. Ihr war kalt, obwohl allenthalben die Krokusse und Tulpen nur so aus dem Boden schossen und der Flieder in den Gärten, die die Straße säumten, bereits dicke Knospen trug. Aber vielleicht kam das Frieren auch daher, dass sie seit dem frühen Morgen nichts außer Kaffee zu sich genommen hatte. An den Tagen, an denen sie arbeitete, verzichtete sie ohnehin grundsätzlich aufs Mittagessen und nahm sich stattdessen nur ein Brötchen mit. Doch selbst das steckte heute noch unberührt in ihrer Tasche. Und gleich, wenn sie nach Hause kam, würde sie es in den Kühlschrank legen, um es morgen früh zum

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