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Schattenriss

Schattenriss

Titel: Schattenriss Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Silvia Roth
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Lieson nicht längst darauf bestanden hatte, seine Frau zu sehen, mehr noch: dass er nicht einmal nach ihr und ihrem Befinden gefragt hatte. Aber wahrscheinlich wagte der Filialleiter es schon allein wegen des Aufwandes, den man um ihn betrieben hatte, nicht, irgendwelche Wünsche zu äußern.
    »Es ist durchaus wahrscheinlich, dass die Entführer die Abläufe innerhalb der Filiale und möglicherweise auch das Privatleben von Teilen des Personals im Vorfeld des Überfalls ausgespäht haben«, erklärte Goldstein, ohne die Kurznachricht zu erwähnen, die er soeben von Monika Zierau erhalten hatte. Darin teilte die Psychologin ihm in knappen Worten mit, dass Inger Lieson nicht nur völlig verstört sei, sondern darüber hinaus auch ausgesagt habe, sich bereits vor dem Anruf der Geiselgangster beobachtet, wenn nicht gar verfolgt gefühlt zu haben.
    Walther Lieson hingegen schüttelte den Kopf. »Ich habe nichts bemerkt.«
    »Gibt es im Zusammenhang mit Ihrer Filiale irgendetwas, das nur Sie wissen oder können?« Goldsteins Augen suchten den Kaffeebecher des Bankers, der nach wie vor unberührt auf dem Tisch stand. »Einen Code, der den Zugang zum Tresorraum ermöglicht oder etwas in dieser Richtung?«
    »Nein.« Walther Lieson lächelte. Mir scheint, Sie sehen zu viele amerikanische Thriller ...
    »Und wie viel Geld befand sich Ihrer Schätzung nach zum Zeitpunkt des Überfalls in der Filiale?«
    »Jedenfalls keine zwei Millionen Euro«, versetzte der Banker, ohne einen genauen Betrag zu nennen.
    »Wann haben Sie erfahren, dass Sie heute nach Genf müssen?« »Gegen Mittag.«
    Goldstein schlug die Beine übereinander. »Können wir das vielleicht ein bisschen genauer haben?«
    Der Banker dachte einen Augenblick nach. »Es war etwa Viertel nach zwölf, glaube ich.«
    »Und der Termin war unumgänglich?«
    »Sicher. Oder glauben Sie, dass wir in Zeiten wie diesen Geld zu verschenken haben?«
    Goldstein ignorierte die ironische Randbemerkung. »Haben Sie jemals einen Mann namens Teja gekannt?«
    »Wie ich bereits sagte, nein.«
    »Auch früher nicht?«
    »Nein.«
    »Und wer könnte ein Interesse daran haben, Ihnen eins auszuwischen?«
    »Keine Ahnung.«
    »Ach was«, lachte Goldstein. »Sie werden doch wohl irgendeine Leiche im Keller haben. Jeder Mensch hat das.«
    Pause.
    Gegen eine derart banale Wahrheit fand offenbar selbst ein gewiefter Banker wie Walther Lieson kein Rezept. »Ganz sicher nichts, das es rechtfertigen würde, sieben Menschen zu entführen und einen zu ermorden«, antwortete er nach einer Weile, sichtlich bemüht, nicht allzu schnippisch zu klingen.
    Goldstein zuckte mit den Achseln. »Glauben Sie mir, was angemessen ist oder nicht, ist letztlich immer eine Frage von persönlicher Gewichtung.«
    Verhoeven konnte deutlich sehen, wie Walther Lieson allmählich wütend wurde. Aber noch hatte der Banker sich im Griff. Lediglich seine Unterlippe zuckte leicht, als er sagte: »Ich bin nicht derjenige, der hier ein Verbrechen begangen hat.«
    »Warum will dieser Teja, dass Sie das Geld überbringen?«
    »Ich weiß es nicht.«
    »Überlegen Sie!«
    Der Druck wird zu groß, dachte Verhoeven. Wenn Goldstein so weitermacht, ist alles, was er erreicht, eine Totalverweigerung. Lieson verkündet, dass er ab sofort keinen Ton mehr sagt. Und dann ruft er seinen Anwalt an. Zwar würde auch der beste Anwalt den Banker unter den gegebenen Umständen nicht von seiner Aussagepflicht entbinden können, aber sie würden eine Menge Zeit verlieren.
    An seiner Seite schien sich Richard Goldstein allerdings selbst durch die trotzig verschränkten Arme des Filialleiters in keiner Weise beirren zu lassen. Im Gegenteil, ohne mit der Wimper zu zucken, zog er die Schrauben noch ein wenig fester.
    »Jetzt kommen Sie schon«, sagte er, indem er sich provozierend weit über den Tisch beugte, bis seine Arme den Banker fast berührten. »Wovor haben Sie Angst?«
    Walther Lieson lachte laut auf. »Angst? Ich?«
    »Warum nicht?«
    »Ach ja, natürlich, ich weiß schon«, versetzte der Banker sarkastisch. »Jeder Mensch hat vor irgendetwas Angst, nicht wahr?«
    »Fast jeder«, entgegnete Goldstein in neutralem Ton, und Verhoeven konnte sehen, wie der Filialleiter über diese unerwartete Einschränkung ins Grübeln geriet.
    Fast jeder ...
    Wirklich geschickt, dachte er. Verwirr deinen Zeugen, bevor dieser auf die Idee kommt, den Druck als zu groß zu empfinden. Und wenn er richtig durcheinander ist, gib ihm Zeit zum Nachdenken.
    »Glauben Sie

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