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Schattenriss

Schattenriss

Titel: Schattenriss Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Silvia Roth
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Banker zurück, und Verhoeven dachte, dass diese Einstellung voll und ganz zu dem Eindruck passte, den er sich bislang von Walther Lieson gemacht hatte. Der Filialleiter war kein Mann, der Kompromisse einging. Und auch keiner, der sich von zwischenmenschlichen Spannungen nennenswert beeindrucken ließ.
    »Was will Ihre Ex von Ihrer jetzigen Frau?«, fragte Goldstein. »Sie sucht einen Schuldigen.«
    »Ist Ihre Frau denn schuldig?«
    Der Banker lachte laut auf. »Woran sollte Inger schuldig sein?«
    »Nun ja«, entgegnete Goldstein, »am Scheitern Ihrer Ehe vielleicht?«
    »Ich war längst geschieden, als wir uns kennenlernten.« »Und Ihre Kinder?«
    »Sind damals mit ihrer Mutter gegangen.«
    Goldstein tat so, als müsse er einen Blick in seine Akte werfen. Doch Verhoeven war sich sicher, dass der erfahrene Unterhändler die Fakten im Kopf hatte. »Sie haben zwei Söhne, nicht wahr?«
    Lieson nickte nur.
    »Und wie ist Ihr Verhältnis zu Ihren Söhnen?«
    »Distanziert, würde ich sagen.«
    »Aha.« Goldstein schenkte dem Banker ein Lächeln, das Verhoeven wieder an Jack Nicholson erinnerte, und griff dann nach der Thermoskanne, die zwischen ihnen stand. »Möchten Sie noch Kaffee?«
    »Nein, danke.«
    »Sind Sie ganz sicher?«
    Doch das Läuten des Telefons in Verhoevens Rücken entband den sichtlich irritierten Walther Lieson von einer Antwort auf diese selbst in Verhoevens Ohren merkwürdig klingende Rückfrage.
    Goldstein riss den Hörer ans Ohr und lauschte eine Weile mit versteinerter Miene. »Ja, sicher«, sagte er schließlich mit ins Fleisch schneidender Freundlichkeit. »Das verstehe ich durchaus. Aber das Leben der Geiseln hat für mich absolute Priorität, und ich werde tun, was immer nötig ist, um dieses Leben zu schützen. Also kommen Sie mir gefälligst nicht mit der Erpressbarkeit einer amtierenden oder von mir aus auch nicht amtierenden Landesregierung, ist das klar?« Er knallte den Hörer auf und murmelte: »Man sollte doch wirklich meinen, dass die hohen Herren im Ministerium augenblicklich schon genug eigene Probleme hätten. Aber ich fürchte, so regierungsunfähig können die gar nicht sein, als dass sie nicht noch Zeit finden würden, sich in Dinge einzumischen, von denen sie rein gar nichts verstehen.« Er klopfte eine neue Zigarette aus seiner Packung und steckte sie an. Dann wandte er sich wieder Walther Lieson zu, als ob nichts gewesen wäre. »Also noch einmal von vorn«, sagte er. »Warum haben diese Kerle ausgerechnet Ihre Privatnummer gewählt, um ihre Forderungen abzulassen?«
     
     
     

10
     
    »Urgemütlich hier, nicht wahr?«, bemerkte Quentin Jahn, der plötzlich vor ihr stand, ohne dass Winnie Heller ihn hätte kommen hören.
    »Allerdings«, antwortete sie mit einem leisen Lächeln.
    »Tja, diesen Abend haben wir uns vermutlich alle ein bisschen anders vorgestellt«, sagte der Zeitschriftenhändler, indem er sich ungefragt neben ihr auf den Boden setzte. Sein Körper war straff und sehnig, und der harte Untergrund schien ihm trotz seines nicht mehr ganz jugendlichen Alters keinerlei Mühen zu bereiten. »Also wenn’s nach mir ginge, säße ich jetzt bei einem schönen Glas Rotwein vor dem Fernseher und würde Günther Jauchs Million abräumen. Und Sie?«
    »Poker«, entgegnete Winnie Heller, wobei sie sich fragte, ob der Zeitschriftenhändler tatsächlich wusste, wie spät es war, oder ob er einfach geraten hatte. Ihr Blick suchte Quentin Jahns Handgelenk, und sie entdeckte einen Streifen hellerer Haut, dort, wo normalerweise die Uhr saß.
    »Poker, tatsächlich?« Er zog überrascht die Augenbrauen hoch. »Tja, spannendes Spiel. Und eher ungewöhnlich für eine Frau, wenn ich mal so sagen darf. Oder werfen Sie mir dann mangelnde politische Korrektheit vor?«
    »Na ja, ich bin tatsächlich die einzige Frau unter lauter Kollegen, das lässt sich nicht leugnen«, lachte Winnie Heller, bevor ihr aufging, dass sie sich womöglich gerade um Kopf und Kragen redete. Poker im Kollegenkreis – das klang ja nun nicht gerade, als ob sie in einem Krankenhaus oder einer Kindertagesstätte arbeitete. Ihre Augen wanderten nach rechts, zu der Mauerritze hinter dem Toiletteneimer, in der sie ihren Dienstausweis versteckt hatte, und fast hatte sie den Eindruck, als rage eine Ecke des kreditkartenkleinen Dokuments aus der Ritze heraus. Aber das bildete sie sich nur ein. Das musste sie sich einbilden. Sie hatte doch genau aufgepasst, dass nichts zu sehen war.
    Oder?
    »Etwas mehr Würde

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