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Schattenriss

Schattenriss

Titel: Schattenriss Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Silvia Roth
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Kopf der Bande durch die Schalterhalle geschleudert hatte wie einen Fehdehandschuh? Winnie sah den Zeitschriftenhändler an und entschied sich spontan dafür, ihrer Neugier den Vorzug vor ihren Bedenken zu geben: »Aber Sie kennen den Namen aus einem anderen Zusammenhang?«
    Zu ihrer Überraschung antwortete Quentin Jahn mit einer Gegenfrage: »Lesen Sie gern?«
    »Schon«, räumte sie mit einem Anflug von Verlegenheit ein, »aber leider komme ich viel zu selten dazu. Warum fragen Sie?«
    »Nun ja«, entgegnete der Zeitschriftenhändler. »Der einzige Zusammenhang, in dem mir der Name Malina bislang untergekommen ist, ist der gleichnamige Roman von Ingeborg Bachmann.« Er legte den Kopf in den Nacken und blickte in das bodenlos wirkende Dunkel über ihren Köpfen. »In dieser Geschichte gibt es eine Figur, die Malina heißt. Ein Militärhistoriker, sehr ordentlich und grundanständig. Aber soweit ich weiß, gibt es auch Interpretationen, die in der Figur des Malina das Alter Ego der Protagonistin sehen.«
    Tjaaaaa, dachte Winnie Heller, so was müsste man wohl eigentlich wissen, wenn man Abitur hat und sich selbst als halbwegs gebildeten Menschen bezeichnen würde. Nur leider, leider, leider war ihr alter Deutschlehrer ein eingefleischter Goethe-Fan gewesen, sodass sie zwar mit exzellenten Kenntnissen beider Faust-Teile aufwarten konnte, andererseits aber nichts gelesen hatte, das jünger als Fontane gewesen wäre. Ein Versäumnis, das sie – wie sie zu ihrer Schande gestehen musste – auch nie auszugleichen versucht hatte, nicht zuletzt, weil sich ihr Lesegeschmack nach einem anstrengenden Arbeitstag auf mehr oder minder identisch gebaute Liebesromane konzentrierte. »Aber in diesem Buch geht es nicht zufällig um einen Banküberfall, oder?«, versuchte sie, sich mit Humor aus der Affäre zu ziehen.
    Und tatsächlich: Quentin Jahn lachte. »Nicht, dass ich wüsste«, antwortete er.
    Winnie Heller fuhr sich mit beiden Händen durch die Haare, weil sie den Verdacht hatte, dass ihre frisch definierten Stufen in alle erdenklichen Richtungen von ihrem Kopf abstanden. Aber ihre Bemühungen halfen nicht viel. Wahrscheinlich sah sie einfach nur furchtbar aus. »Wie auch immer«, sagte sie, nun wieder ernst. »Ich glaube kaum, dass sich Alpha vorhin in der Bank auf ein Buch bezogen hat.«
    »Alpha?«
    Winnie spürte, wie sich das Rot ihrer Wangen wieder vertiefte. »Ach«, entgegnete sie eilig, »das ist bloß so ein Phantasiename, den ich dem Anführer verpasst habe.«
    Quentin Jahn nickte. »Tja Namen«, murmelte er philosophisch. »Aber Alpha passt wirklich ganz ausgezeichnet.«
    Winnie Heller stutzte, als ihr etwas in den Sinn kam, das ihr Gesprächspartner zuvor gesagt hatte. Hin und wieder kam es vor, dass sie bestimmte Informationen, so wichtig sie auch sein mochten, erst mit einer gewissen Verzögerung zur Kenntnis nahm, weil sich aus irgendeinem Grund etwas anderes in den Vordergrund schob. Und genau das war ihr mit einem ganz und gar nicht unbedeutenden Nebensatz des Zeitschriftenhändlers passiert. Aber soweit ich weiß, gibt es auch Interpretationen, die in der Figur des Malina eher das Alter Ego der Protagonistin sehen .
    Der Protagonist in , wiederholte Winnie Heller triumphierend. Malina könnte also genauso gut eine Frau sein! Oder gingen diese Gedanken jetzt doch ein Stück zu weit? Was bitte sollte ein brutaler Banküberfall mit einem Stück Weltliteratur zu tun haben?
    »Wer ist eigentlich der Mann, der neben Frau Gorlow sitzt?«, wandte sie sich wieder an Quentin, um wenigstens eine andere Frage zu klären, die sie schon seit geraumer Zeit beschäftigte.
    »Er heißt Abresch«, antwortete Quentin, ohne sich umzudrehen. »Horst Abresch. Soweit ich weiß, ist er Walthers Stellvertreter.«
    Winnie Heller zog die Augenbrauen hoch. »Sie meinen, er ist der stellvertretende Filialleiter?«
    »Ich glaube, ja.«
    Na, da sieh doch mal einer an!, dachte Winnie. Dann hätte von Rechts wegen ja eigentlich er derjenige sein müssen, der den Geiselnehmern in der Bank Rede und Antwort zu stehen hatte! Ihre Augen glitten über das unscheinbare Gesicht, das mit nimmermüder Geduld Evelyns stockendem Redefluss lauschte. Aber konnte man dem Mann tatsächlich einen Vorwurf daraus machen, dass er geschwiegen hatte? Sie betrachtete die schlaff wirkenden Schultern unter dem teuren grauen Sakko und dachte, dass Zivilcourage vermutlich wirklich nicht jedermanns Sache war. Und dass die Leiche der einzigen Geisel, die ihrer

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