Schattenriss
alarmiert ein. »Sie haben uns doch gerade eben erklärt, dass Lieson ein wichtiger Teil der Abmachung ist, die diese Leute mit uns treffen wollen.«
»Ich habe erklärt, dass er der unerfüllbare Teil dieser Abmachung ist«, korrigierte ihn Goldstein.
»Und was sollte es dann bitte bringen, wenn Sie so tun, als ob Sie ihn erst herbeischaffen müssen?«
»Zeit«, sagte Goldstein, nun wieder mit der alten Gelassenheit. »Wenn ich Glück habe, bringt es etwas Zeit.«
»Was soll das heißen: Wenn Sie Glück haben?«, fragte Büttner.
»Tja, mien Jung«, antwortete Goldstein mit hanseatischem Charme. »So läuft dieser Job nun mal. Sie analysieren das Blatt, das Sie in der Hand halten, und selbst wenn es der größte Mist ist, tun Sie so, als ob Sie nur noch Millimeter von einem triumphalen Sieg entfernt sind. Das nennt man gemeinhin bluffen. Und manchmal ...« Er machte eine kurze Pause, wobei er den Blick senkte, sodass der Schatten seines Basecaps die Augen verdeckte. »Manchmal ist ein guter Bluff hilfreicher als jede noch so ausgefeilte Strategie.«
Brennicke rümpfte die Nase. »Aber das hier ist kein Spiel.«
»Nichtsdestotrotz sollten wir es gewinnen, meinen Sie nicht?«, konterte Goldstein, indem er wieder sein unwiderstehlich cooles Jack-Nicholson-Lächeln aufsetzte.
»Sie sind hier, weil man sagt, dass Sie Ihren Job verstehen.« Werner Brennicke straffte die Schultern, und Verhoeven stellte überrascht fest, dass er und der BKA-Mann in etwa gleich groß waren. »Und von ein paar ... nennen wir es mal: Ausrutschern ... einmal abgesehen, mag das durchaus zutreffen. Aber Ihr Job«, dieses Mal betonte er das Wort bewusst abfällig, »ist das Verhandeln. Und zwar nichts als das. Sie sind weder Bruce Willis noch sonst irgend so ein Einer-gegen-den-Rest-der-Welt-Typ, der in halsbrecherischen Alleingängen ein Riesenchaos anrichtet und ...«
»Ach du liebe Güte«, wandte Richard Goldstein sich mit einem breiten Grinsen an Verhoeven. »Hätten Sie es für möglich gehalten, dass unser Freund vom BKA Bruce Willis kennt?«
»... und aus diesem Grund gebe ich Ihnen einen guten Rat«, setzte Brennicke seine Rede ohne einen Anflug von Irritation fort. »Was immer Sie tun: Machen Sie keinen Fehler, sonst ist Ihre Karriere schneller vorbei, als Sie gucken können.« Dann drehte er sich auf dem Absatz um und stakste so entschlossen davon, dass sein Lakai alle Mühe hatte, ihm zu folgen.
»Was denn für ’ne Karriere?«, rief Goldstein den beiden hinterher, und er wirkte trotz der unverhohlenen Drohung noch im mer amüsiert. »Wenn ich mich nicht irre, sind wir ungefähr im selben Alter, Sie und ich, oder? Und das bedeutet, dass wir unsere besten Jahre bereits hinter uns haben. Sie genauso wie ich!«
Brennicke drehte sich nicht um, aber Verhoeven hätte schwören können, dass ein unangenehmes kleines Lächeln auf seinem Gesicht lag, als er um die Ecke in Richtung Aufzug verschwand.
Büttner hingegen hob die Hand und präsentierte den Zurückgebliebenen seinen ausgestreckten Mittelfinger.
2
Kein Wächter, dachte Winnie Heller.
Diese Mistkerle überlassen uns mehr oder weniger uns selbst.
Was, wenn sie gar nicht mehr in der Nähe sind? Wenn sie darauf bauen, dass wir nach Iris Kuhns Ermordung schlicht und einfach nicht wagen, uns zu rühren, geschweige denn, die Treppe hinaufzugehen ...
Ihre Augen glitten über die rostigen Stufen.
Vielleicht bot sich dort oben die Chance, einen Fluchtweg zu finden. Oder Kontakt aufzunehmen. Immerhin war nicht auszuschließen, dass es irgendwo in diesen Räumen oberhalb der Grube ein Telefon gab. Zum Beispiel das Handy, das die Entführer Horst Abresch abgenommen hatten. Dann konnte sie vielleicht eine Nachricht absetzen. Einen Hilferuf.
Winnie Heller kaute nachdenklich auf ihrer Unterlippe herum.
Oder saß einer von denen etwa doch dort oben, ein wenig zurückgesetzt zwar, sodass sie ihn von hier aus nicht sehen konnten, aber doch präsent, die Augen auf die Treppe gerichtet und die Waffe im Anschlag?
»Ich möchte wirklich wissen, wo diese Kerle stecken«, bemerkte Quentin Jahn neben ihr, und einmal mehr hatte Winnie Heller das Gefühl, sich verraten zu haben. Das, was sie dachte. Schnell sah sie von der Treppe weg, auch wenn es für ein Ablenkungsmanöver natürlich längst zu spät war.
»Denken Sie, dass sie die Leiche fortgeschafft haben?«
Der abrupte Themenwechsel erwischte sie kalt. Noch dazu, wo es unter ihren Mitgefangenen bislang eine Art
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