Schattenschmerz
würde sie mit diesem Blick taxieren, der selbst seinen Führungskräften Angst einjagte.
‹Ich werde behaupten, dass ich die Schrift nicht erkannt habe›, nahm sich die Sekretärin vor. Vermutlich würde von Germershausen ihr sogar glauben. Wer war sie schon, dass sie es wagen könnte, seinen Anweisungen nicht Folge zu leisten?
Sigrid Werlemann lauschte, ob sich jemand auf dem Flur befand. Dann faltete sie den Brief auseinander und las mit angehaltenem Atem die erste Zeile:
Wir hatten Sie gewarnt. Es ist uns ernst. Erneut hat
EvG-Technology
Menschenleben auf dem Gewissen. Wir machen weiter, wenn Sie nicht innerhalb der nächsten sieben Tage fünf Millionen Euro auf das Konto 112 333 458 der Guernsey Bank einzahlen. Ihre Zahlungsbereitschaft signalisieren Sie in der kommenden Wochenendausgabe des
Weser-Kuriers
unter der Rubrik Finanzen mit folgender Anzeige: Weltweit operierendes Finanzteam sucht neue Partner für die Entwicklung neuer Technologien in der 3. Welt.
Unterzeichnet war der Brief mit den ‹Müttern und Vätern von Paghman›. Dann folgte noch eine Chiffrenummer.
Fünf Millionen! Innerhalb von sieben Tagen!
Schwindel erfasste die Sekretärin. Woher sollte von Germershausen diese enorme Summe nehmen? Doch sie verwarf den Gedanken sofort wieder. Er würde sowieso nicht zahlen. Niemals. Von Germershausen würde sich zu Recht darauf berufen, nie illegale Geschäfte getätigt zu haben. Das Unternehmen hatte neue Technologien entwickelt und weltweit exportiert. Alles im Rahmen des Erlaubten. Damit wäre die Sache für ihn erledigt.
Beklommen wählte Sigrid Werlemann seine Handynummer.
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13
Chris Lorenz war keine Frau, die schnell aufgab.
Zwar hatte Frank Steenhoff auf ihren Geburtstagsgruß und das Geschenk nicht reagiert, doch Chris vermutete, dass es an seinem neuen Fall lag. An seine Frau Ira verschwendete sie keinen Gedanken. Das musste Frank mit sich selbst ausmachen.
Chris Lorenz lebte allein. Und sie war das Single-Leben inzwischen ebenso leid wie die ständige Rücksichtnahme auf Ehefrauen, die sie nicht kannte. Kaum traf sie einen attraktiven Mann, tauchte eine Ehefrau, eine langjährige Freundin oder eine sogenannte Lebensgefährtin an dessen Seite auf. Interessante Männer waren nicht allein, das hatte sie inzwischen gelernt. Immer gab es eine Frau, die angeblich mehr Recht darauf hatte, ihre Wochenenden nicht alleine zu verbringen.
‹Es wird Zeit, dass ich mich um mein eigenes Glück kümmere›, dachte Chris Lorenz entschlossen und überlegte, wie sie Frank endgültig für sich gewinnen konnte.
Ihr kam die Explosion in dem Bremer Park am Montagmorgen in den Sinn. Sogar die überregionalen Zeitungen waren voll davon. Eine Bombenfalle in der Nähe eines Kindergartens! Widerwillen machte sich in ihr breit. Wer so etwas tat, musste verrückt sein.
Doch eigentlich war ihr der Fall gleichgültig. Der einzige Grund, warum sie gleich mehrere Berichte über die «Parkbombe» gelesen und im Internet über den ungewöhnlichen Anschlag recherchiert hatte, war Frank Steenhoff.
Sie hatten sich im Sommer bei einem Tauchkurs auf Korsika kennengelernt. Frank hatte ihr erzählt, dass er sich einen langgehegten Traum mit dem Kurzurlaub erfüllte. Und nur in einem Nebensatz erwähnte er, dass ihm seine Frau den Kurs zu Weihnachten geschenkt hatte. Da Ira sich aber offenbar lieber auf dem als unterm Wasser aufhielt, war sie in Bremen geblieben.
Frank war gut zehn Jahre älter als Chris. Sein dunkelblondes, kurzes Haar ließ bereits Geheimratsecken erkennen. Als Erstes waren Chris jedoch seine blauen Augen aufgefallen, die von einer ungewöhnlichen Intensität waren. Instinktiv spürte sie, dass der Mann aus Bremen nicht schnell etwas von sich preisgab. Das machte ihn umso reizvoller für sie.
Für Chris Lorenz war es auf Korsika das erste Mal, dass sie sich in einen Neoprenanzug zwängte und sich eine Pressluftflasche auf den Rücken schnallte. Ihr fiel auf, dass Frank im Vergleich zu den anderen Anfängern im Kurs mit den Verschlüssen, den Bleigewichten und den Techniken vertraut wirkte. Wie sich später herausstellte, hatte er bereits einige Jahre zuvor einen Tauchkurs belegt.
Der Kurs auf Korsika war für Chris eine Art Schocktherapie gewesen. Die Tiefe zog sie magisch an und ängstigte sie zugleich. Schon Schnorcheln kostete sie Überwindung. Sobald sie mit einer Taucherbrille unter die Wasseroberfläche schaute, musste sie gegen die aufkommende Panik in sich
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