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Schattenschmerz

Schattenschmerz

Titel: Schattenschmerz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rose Gerdts
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Agenturmeldungen auf ihrem Schreibtisch zum wiederholten Male durch. Wo war bloß die Liste mit den Themenvorschlägen aus der Mittagskonferenz?
    Seit am Montag die Bombe im Park hochgegangen war, stand die Journalistin unter Strom. Dies war der vierte Tag, an dem sie für die nächste Ausgabe ihrer Zeitung mehrere Seiten recherchieren und schreiben musste. Natürlich nicht allein, wie ihr Redaktionsleiter ihr am Montag sofort versichert hatte, um jeden Protest ihrerseits gleich im Keim zu ersticken. In den ersten zwei Tagen arbeiteten mehrere erfahrene Kollegen mit. Gemeinsam hatten sie die verworrene Informationslage gesichtet, Berichte und Vorort-Reportagen geschrieben, zig Telefonate geführt und die Pressekonferenz der Polizei besucht. Meist waren sie erst spätabends nach Hause gegangen.
    Andrea selbst hatte in den letzten Tagen ihre guten Kontakte bei der Polizei genutzt und ihre Vertrauensleute abtelefoniert. Natürlich durfte keiner der Beamten etwas sagen. Nur die Mitarbeiter der Pressestelle waren dazu befugt. Außerdem wussten viele tatsächlich nicht mehr als die Journalisten. Aber nach all den Jahren, in denen sie inzwischen über Verbrechen schrieb, wusste Andrea Voss, dass so ein Anschlag auch auf den Revieren und dem Polizeipräsidium Thema Nummer eins war. Und all diese Menschen, die Mordermittler und Kriminaltechniker, die Beamten der Führungsebene, die Staatsschützer und die Schutzpolizisten, die den Tatort abgesperrt hatten – sie alle verließen irgendwann ihre Büros und wurden von anderen auf die mysteriöse Tat angesprochen. Man war zusammen durch die Ausbildung gegangen, hatte früher irgendwann einmal zusammen im Streifenwagen gesessen oder gemeinsam Nachtschichten beim Kriminaldauerdienst geschoben. Natürlich ließ man den interessierten Kollegen nicht einfach stehen. Vorausgesetzt, er versprach, nichts von der Unterhaltung weiterzugeben. So spann sich bei jedem Skandal innerhalb der Polizei oder jedem größeren Verbrechen ein feines Netz an Gerüchten und Andeutungen zwischen den Kommissariaten und Revieren. Ein Prinzip, das sich in jeder größeren Firma und Organisation wiederfand. Vor allem aber in den strikt hierarchisch organisierten Strukturen. Und stets fielen dabei auch ein paar Brocken für sie als Journalistin ab. Nichts, um damit an die Öffentlichkeit gehen zu können, aber genug, um eine Recherche zu beginnen.
    Andrea Voss verstand sich darauf, ihrem Gesprächspartner auch mit wenigen Fakten und bruchstückhaften Informationen das Gefühl zu vermitteln, sie sei bereits bestens informiert. So kam sie mit den Beamten schnell ins Gespräch. Natürlich erfuhren ihre Kontaktleute auch im Gegenzug etwas von ihr. Meist war es ein Geben und Nehmen. Je wichtiger die Informanten wurden, umso tiefer rutschten sie auf der Anrufliste nach unten. Denn die Ermittler, die direkt mit dem Fall betraut waren, gaben höchstens dann etwas preis, wenn Andrea zuvor schon selbst etwas herausgefunden hatte. In jedem Fall aber würden sie sich äußern, falls die Journalistin kurz davor stand, versehentlich Täterwissen oder falsch wiedergegebene Details zu veröffentlichen.
    In der Vergangenheit hatten ihr diese Telefonate oft Vergnügen bereitet. Während die Gesprächspartner und sie scheinbar gelassen um die zentralen Fragen herumredeten und die Polizeibeamten standardmäßig auf ihr Redeverbot und auf ihre Pressestelle verwiesen, belauerte jede Seite die andere, suchte nach Andeutungen und versteckten Hinweisen. Letztlich war Andrea nur selten ohne weitere Details aus den Gesprächen herausgegangen. Und sei es nur, weil die Beamten keinen fehlerhaften Bericht in der Zeitung lesen wollten.
    Auch diesmal wäre sie am liebsten so vorgegangen.
    Doch ihre Recherche-Methode war zeitaufwendig, und diesmal galt es, keine Minute zu verlieren. Ihr Team musste innerhalb kürzester Zeit die Themen absprechen, alle Informationen reinholen und vor allem schreiben. Allein drei ganze Seiten zu Dienstag und natürlich den Aufmacher auf Seite 1. Letztlich hatte Andrea Voss auch noch einen längeren Kommentar abliefern müssen. Sie war froh, dass sie keine Anfängerin mehr war. Mit ihren 38 Jahren hatte sie genug Erfahrung, um nicht in dem ungeheuren Stress unterzugehen, der sie alle seit Montagmorgen erfasst hatte. Außerdem wartete zu Hause niemand auf sie. Andrea musste sich bei keinem Ehemann dafür entschuldigen, warum es schon wieder später wurde. Es gab keine Kinder in ihrem Leben, die drängelten

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