Schattenschwingen - Die dunkle Seite der Liebe - Heitmann, T: Schattenschwingen - Die dunkle Seite der Liebe
vollem Mund.
»Was denn noch für Sachen?«
Gott sei Dank hatte er sich gerade einen überquellenden Löffel in den Mund geschoben, sodass er nicht sofort antworten
konnte. Dafür verriet ihn das schelmische Funkeln in seinen Augen.
Schnell hob ich abwehrend die Hand. »Lass gut sein. Ich glaub, ich kann es mir schon von allein denken. Außerdem geht es mir auch gar nicht darum, Shirin zum Essen zu bekommen, sondern es tut mir schlicht in der Seele weh, sie in diesem Zustand zu sehen.«
»Da gewöhnt man sich dran, schließlich steht sie ständig auf diese Weise rum. Irgendwie benebelt. Ist auch gar nicht verkehrt, dass sie im Augenblick komplett neben der Spur ist. Sonst wäre es mir kaum gelungen, sie in die Menschenwelt zu bringen. Meine Birke hat sie übrigens ausgespuckt, als wäre sie eine gefräßige Raupe, die es auf ihr Blätterdach abgesehen hat. In ’nem richtig hohen Bogen.«
Zum Glück drang die unsichere Note in Ranukens Stimme zu mir durch, denn solch eine kaltschnäuzige Haltung gegenüber Shirin hätte ich ihm nicht durchgehen lassen. »Es ist also allein deine Entscheidung gewesen, Shirin zu mir zu bringen?«
»War ja heute Vormittag sonst keiner da von den üblichen Helden«, erklärte Ranuken, während er die Töpfe nach Resten inspizierte. »Kastor hat sich gleich zu Beginn mit den üblichen Wortführern wegen seiner fixen Idee, ins Weiße Licht zu fliegen, überworfen. Sam ist gar nicht erst aufgetaucht, genau wie Lorson, der feige Hund … Selbst dieser gruselige Asami hat sich nicht blicken lassen, obwohl die Versammlungen doch seine große Bühne sind. Das war dann zwangsläufig Junas große Stunde. Du hast unseren Racheengel ja bei der Versammlung life aus der Hölle gesehen – Juna muss man nicht zweimal bitten, um es Shirin mal ordentlich zu geben. Bislang hat Shirin ihre Vorwürfe stets gleichgültig an sich abprallen lassen, aber heute hat sie ganz urplötzlich einen Weinanfall bekommen.« Ranuken ließ
den Topfdeckel sinken, als sei ihm mit einem Schlag der Appetit vergangen. »Weiß der Teufel, um was es dabei eigentlich ging.«
»Was hat Juna denn gesagt?« Dabei war ich mir gar nicht sicher, ob ich die Antwort überhaupt hören wollte.
»So richtig habe ich das nicht verstanden.« Mittlerweile flüsterte Ranuken, damit Shirin ihn nicht hören konnte. »Irgendwas, dass man Leute wie Shirin verbannen müsste, weil sie selbst den blühendsten Garten in die Hölle verwandeln. Ob nun durch ihr Tun oder durch ihr williges Stillhalten. Also mir wären wildere Beschimpfungen eingefallen, wenn ich es Shirin mal richtig hätte zeigen wollen. Jedenfalls hat die Anspielung auf den Garten ausgereicht, um Shirins Fassade zum Einsturz zu bringen. Ich habe sie noch nie, wirklich noch nie weinen sehen. Sie ist mehr der Typ, der einem in schneidendem Ton die Leviten liest oder einen tagelang ignoriert, weil man ihr auf die Schwinge getreten ist. Ich finde ja sogar ihre momentane Geistesabwesenheit Shirinmäßig, diese Ihr-könnt-mich-mal-Attitüde. Aber Weinen, und dann noch vor Publikum? Mann, ich bekomme immer noch eine Gänsehaut, wenn ich bloß dran denke.«
Das nahm ich ihm unbenommen ab. Shirin hatte die Seele einer Kämpferin, das Schicksal musste sie wirklich weit treiben, damit sie sich aufgab. Mir kamen Junas Worte in den Sinn, als sie verraten hatte, dass Shirin einst die Geliebte derjenigen Schattenschwinge gewesen war, die fast die gesamte Sphäre mit ihren Machtträumen ins Verderben gestürzt hatte. Was mochte diese unnahbare Schönheit alles erlebt haben, das sie zu einem Wesen gemacht hatte, das einerseits stark und andererseits verletzlich bis zur Selbstaufgabe war?
Obwohl Shirin weiterhin so apathisch dreinschaute, dass ich schon befürchtete, sie könnte kurzerhand beschließen,
leblos in sich zusammenzusinken, freute ich mich sehr, sie zu sehen. Egal, wie kompliziert sie war, und von der Tatsache abgesehen, dass wir zwar unendlich viele Gegensätze, aber so gut wie keine Gemeinsamkeiten aufwiesen, mochte ich sie gern. Es war etwas Besonderes, sie bei mir zu haben und ihr – hoffentlich – etwas Gutes tun zu können.
Unterdessen sah Ranuken ausgesprochen zufrieden mit seiner Initiative aus. »Das habe ich doch gut gemacht, was?«, wollte er sich prompt von mir bestätigen lassen.
Ich nickte. »Vor ein paar Tagen habe ich gerade erst mit Sam darüber gesprochen, dass wir Shirin rüberholen sollten, damit sie ein wenig Abstand zur Sphäre bekommt.«
»Ach, nö! Nun
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