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Schattenschwingen - Zeit der Geheimnisse - Heitmann, T: Schattenschwingen - Zeit der Geheimnisse

Schattenschwingen - Zeit der Geheimnisse - Heitmann, T: Schattenschwingen - Zeit der Geheimnisse

Titel: Schattenschwingen - Zeit der Geheimnisse - Heitmann, T: Schattenschwingen - Zeit der Geheimnisse Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tanja Heitmann
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akzeptiert, anders konnte ich mir ihre Haltung nicht erklären. Nicht einmal unser gläserner Käfig brachte sie allzu sehr aus dem Gleichgewicht, dabei befürchtete selbst ich, dass er sich beim nächsten Zucken und Flimmern, von dem die Sphäre unentwegt durchfahren wurde, auflösen und uns in den sicheren Tod stürzen würde. Allerdings hatte meine verminderte Wahrnehmung, durch die für unser menschliches Auge alles wie ein Trugbild wirkte, seit Nikolais letzter Berührung merklich nachgelassen. Vermutlich weil mich meine Umgebung immer weniger als Fremdkörper wahrnahm, den es hinauszudrängen galt. Eine andere Erklärung fand ich nicht, denn für Lena war weiterhin alles von einem flackernden Schwarz-Weiß bestimmt.
    »Ich weiß, du hältst es für Zeitverschwendung, aber wollen wir noch einmal gemeinsam darüber nachdenken, ob wir Nikolai nicht eine Falle stellen könnten?« Lena spielte nervös an der Bernsteinkette, die um ihren Fußknöchel geschlungen war und sie an den Käfig fesselte.
    »Ach, Lena. Das ist doch einfach nur deprimierend. Selbst wenn es uns gelingen würde, ihn auszuschalten und diese Kette an deinem Fuß zu zerbrechen, würden uns keine Schwingen wachsen, um mit der lauen Abendbrise ins Happy End zu segeln.«
    »Resignierst du bereits oder willst du vielleicht schon gar nicht mehr von ihm weg?«
    Mir stockte der Atem. Was für eine Unterstellung!
    Ich sprang auf und lief in Ermangelung eines besseren Ziels auf eines der Rinnsale zu, die über den gläsernen Boden flossen, als hätten sich die Wolken an den durchsichtigen Wänden verfangen, um zu dem zu werden, was sie eigentlich waren: Wasser. Zu Beginn unserer Gefangenschaft waren die feinen Wasseradern willkürlich hin und her geflossen, doch seit Kurzem hatten sie eine Einbettung. Ein Symbol für Nikolais Erstarkung: Er begann, den leeren Käfig nach seinen Vorstellungen zu formen. Aber waren es wirklich seine Vorstellungen? Die blauen Rinnsale hoben sich wie ein filigranes Muster vor dem Wolkenhimmel ab … in einer Schönheit, deren einziger nachvollziehbarer Sinn darin bestand, uns Wasser zu spenden.
    Ich beugte mich über die Oberfläche des rasch dahinfließenden Laufs und versuchte, in der Spiegelung mein Gesicht zu erhaschen. Allerdings bekam ich nicht mehr als einzelne Bruchstücke zu sehen. Mal ein Auge, mal meinen Mund, mein dunkles Haar. Natürlich war es Unsinn, aber für mich schien es als weiteres Zeichen, dass ich nicht mehr vollständig war. Nikolai hatte mich zerbrochen und setzte mich Splitter für Splitter neu zusammen.
    Lenas Bernsteinkette klirrte über den Boden, als sie zu mir herüberkam. »Ich wollte dich nicht verletzen.«
    »Das weiß ich doch. Es tut trotzdem weh zu erkennen, dass ich mir selbst nicht länger über den Weg trauen darf. Sehe ich keinen Ausweg, weil ich in Wirklichkeit keinen Ausweg sehen will? Ich weiß es nicht …«
    Lena legte ihre Arme um mich und ihre Berührung war warm und menschlich. Tief in mir regte sich ein Verlangen nach einer ganz anderen Berührung, einer, nach der ich mich unmöglich sehnen durfte. Und doch … Schluchzend schmiegte ich mich an meine Freundin, darauf wartend, dass dieses Gefühl, das mich beschmutzte, nachließ.

25 Gewandet
    Ich erblickte Nikolai lange vor Lena: eine dunkle Silhouette, gleich einem Vogel, fern am Himmel. Mit kräftigen Flügelschlägen kam er näher, und alles, was soeben noch an ihm dunkel gewesen war, färbte sich hell. Die Schwingen so nah am Weiß, wie das Grau der Sphäre es zuließ, die Haut in einem Grauton, von dem ich wusste, dass er in meiner Welt ein warmes Gold wäre, während sein Haar selbst in dieser Farblosigkeit glänzte. Seinem Äußeren nach war Nikolai eine Lichtgestalt, während in seinem Inneren Dunkelheit herrschte. Für einige kurze Momente ließ ich mich von diesem Gegensatz faszinieren, dann bemerkte ich seine Silberaugen auf mir und erstarrte.
    Neben mir verschränkte Lena die Arme. »Immer eine große Show, wenn du auftauchst«, begrüßte sie ihn, als er behände auf einer Balustrade landete, deren Umrisse wir lediglich erahnten.
    Nikolai beachtete sie wie gewöhnlich nicht. Nicht einmal ihre spöttischen Kommentare rangen ihm eine Reaktion ab. Für ihn war sie nur ein Anhängsel, von dem er nicht einmal nehmen konnte, weil sie unter seiner Berührung zerbrechen würde. Es war ohnehin ein Wunder, dass sie die Sphäre ertrug. Lena konnte schreien, schimpfen, drohen, für ihn war sie genauso unsichtbar wie das

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