Schattenschwingen - Zeit der Geheimnisse - Heitmann, T: Schattenschwingen - Zeit der Geheimnisse
»Die Verbindung zwischen dir und Asami ist sehr stark, der Ring beweist es. Nur wenige Schattenschwingen passen auf diese Weise zusammen, die meisten von uns brauchen einen menschlichen Gegenpart, um ihre Macht vollkommen zu entfalten. Nimm es als ein gutes Zeichen und nicht als Beleidigung, dass er Milas Ring trägt. Du kannst dich auf Asami verlassen, er würde dich niemals ohne Grund warten lassen.«
»Da wäre ich mir bei diesem Burschen gar nicht so sicher«, sprach Rufus aus, was ich nur argwöhnte. Er hatte sich also doch nicht ausgeklinkt, sondern unser Gespräch mitverfolgt. »Asami reißt sich vielleicht für Sam den Arsch auf, aber Mila und Lena sind dem doch scheißegal. Bestimmt glaubt der, dass man bei Kroppzeug wie uns Sterblichen eh keinen großen Schaden anrichten kann. Ich wette, so ticken die meisten von euch Schattenschwingen, deshalb habt ihr uns doch bislang wie die Pest gemieden.«
Als Shirin sich Rufus zuwendete, verschränkte er die Arme, als wollte er sagen: Du bist beeindruckend, Lady, aber nicht beeindruckend genug, damit ich klein beigebe. »Asami mag in vielerlei Hinsicht unnachgiebig sein, aber er ist keineswegs dumm. Er weiß, dass Samuel es ihm niemals verzeihen würde, wenn Mila seinetwegen ein Unglück zustößt.«
Rufus schnaufte abfällig und stocherte mit einem Stock in dem kläglich auflodernden Lagerfeuer. Obwohl das Flammenspiel kaum nennenswert war, ging mir der Anblick durch Mark und Bein. Die schmächtigen rotorangen Zungen, die über das Treibholz leckten, erinnerten mich an die Feuerwände, die Nikolai heraufbeschworen hatte. Widerwillig sah ich zu, wie Rufus das Feuer immer weiter schürte, während es Schatten auf sein von Anspannung gezeichnetes Gesicht warf.
»Wenn du dich da mal nicht täuschst. Ich traue dem Kerl jedenfalls keine Sekunde über den Weg, wenn es um die Befreiung meiner Schwester geht. Schließlich steht diesem Asami die Ewigkeit zur Verfügung, um sich bei Sam wieder lieb Kind zu machen, falls Mila etwas zustößt. Auch wenn das keiner von euch hören will: Ich habe gesehen, wie der Japaner Sam von der Seite anschmachtete. Das hat wenig mit brüderlicher Liebe zu tun.«
Ich schluckte Rufus’ Anspielung auf Asamis Gefühle mir gegenüber hinunter, als wäre es ein Stück glühende Kohle, aber ich schwor mir, ihm dafür noch den Kopf zurechtzurücken. Immerhin hatte er in einer Hinsicht recht: Die Warterei musste ein Ende haben. Es gab allerdings ein Problem.
»Ich muss auf Asami warten, denn ich brauche seine Hilfe zum Wechseln, ansonsten wird jede Schattenschwinge, die ihre Fühler nach mir ausstreckt, meine Ankunft in der Sphäre sofort bemerken. Dann weiß Nikolai Bescheid, und damit wäre der Überraschungsmoment verschenkt, der im Augenblick unser einziger Vorteil ist.«
Sanft drückte Shirin meine Hand, während ihr Blick aufs Meer hinaus wanderte und ihre Sehnsucht nach der Sphäre verriet, die dort hinter meiner Pforte auf sie wartete. »Die Schattenschwinge, die deine Mila geraubt hat, erwartet dich mit jedem Schlag ihres Herzens. Du kannst ihn nicht überraschen. Und wenn wir jetzt in die Sphäre wechseln, dann erfährst du auch, warum Asami bislang nicht erschienen ist. Wir sollten auf Rufus hören und uns beeilen.«
Rufus schlug seine Faust auf seinen Handteller, dass es knallte. »Genau, Nikolai ist reif. Überreif.«
Eigentlich brauchte es nicht mehr, um mich vom sofortigen Aufbruch zu überzeugen. Und doch zögerte ich …
»Wie wird Mila wohl sein, nachdem sie tagelang in seiner Nähe verbracht hat, ihm auf Gedeih und Verderb ausgeliefert?«
Shirins Schweigen und das gleichzeitige Verblassen ihrer Aura befeuerten meine schlimmsten Vermutungen. In mancher Hinsicht war Nikolai für sie zu einem Fremden geworden. Er verfügte zwar über den Wissensschatz und die Wesenszüge ihres ehemaligen Geliebten, den Schatten, trug aber nichtsdestotrotz ein anderes Gesicht. Dennoch konnte Shirin seine Absichten und Vorgehensweise besser einschätzen als irgendwer anderes. Sie hatte ihn geliebt, gehasst und zumindest einen Teil von ihm getötet.
»Glaubst du nicht, dass ich wenigstens annähernd eine Vorstellung von dem haben sollte, was auf mich zukommt?« Fast hätte ich auf meine Gedankenstimme zurückgegriffen, denn genau wie Shirin mich vor der bitteren Wahrheit zu beschützen versuchte, wollte ich Rufus nicht unnötig verunsichern. So lief das also, wenn man einander zugetan war: Man setzte alles dran, den anderen zu schützen, und
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