Schattenschwingen - Zeit der Geheimnisse - Heitmann, T: Schattenschwingen - Zeit der Geheimnisse
verfügen.
»An all das hast du offenbar niemals gedacht, Samuel. Du kannst dich von der Sphäre abwenden und leugnen, wer du bist. Aber du kannst nicht verhindern, dass das von dir aufgestoßene Tor sich hinter dir schließt und geschlossen bleibt. Die Welt, die du aus Liebe zu deiner Heimat erklärt hast, wird sich schon sehr bald verändern.«
Ein gleißendes Brennen breitete sich in meiner Körpermitte aus, aber meine Wut war nichts im Vergleich zu der Hilflosigkeit, die ich empfand. »Was zum Henker wollen Solveig und die anderen hier? Ihre Familien sind längst tot, es ist nichts mehr so wie zu ihren Zeiten. Sie haben in der Menschenwelt nichts verloren, verdammt.«
»Das mag stimmen, aber es ändert nichts an der Anziehungskraft der Menschenwelt auf uns Schattenschwingen, wenn wir sie erst einmal betreten haben. Uns Wächter gab es schließlich nicht ohne Grund, es war unsere Aufgabe, die jungen Schattenschwingen vom Wechseln abzuhalten. Wer diese Erfahrung nämlich nicht gemacht hat, vermisst die Menschenwelt nicht, sondern behält sie als matten Abglanz der Sphäre in Erinnerung. Doch wer erst einmal damit begonnen hat zu wechseln, wird nicht freiwillig damit aufhören.«
Zwischen uns hing die unausgesprochene Erkenntnis, dass auch Asami, der die Menschenwelt zutiefst verachtete, stets aufs Neue zurückgekehrt war. Selbst wenn er jedes Mal einen triftigen Grund – wie Solveigs größenwahnsinniges Wolkenportal – für seinen Wechsel gehabt hatte, so war es nicht zu übersehen, dass er seit seinem von mir erzwungenen ersten Wechsel auffallend oft herübergekommen war. Sogar er, der Unerbittlichste unter den Schattenschwingen, konnte der Anziehungskraft der Menschen nicht widerstehen.
»Wie auch immer«, setzte Asami an. »Leider hast du ja seit dem Moment, in dem du erfahren hast, wer du bist, all deine Energie aufs Wechseln konzentriert. Ansonsten hättest du von Shirin etwas darüber erfahren können, wie unsere beiden Welten aussahen, bevor sie auseinanderbrachen. Aber unsere Geschichte hat dich ja noch nie interessiert, und allem Anschein nach hat sich daran auch nichts geändert – obwohl ihr Verlauf viel über das aussagt, was in Zukunft passieren könnte.«
Sollte ich bis eben noch auf den passenden Moment zum Absprung gelauert haben, gab ich diesen Gedanken nun endgültig auf. Die Welt würde sich verändern, denn die Schattenschwingen würden sich nicht länger auf den Verbleib in der Sphäre beschränken. Vor allem nicht, sobald sie herausgefunden hatten, wie sehr die Berührung der Menschen sie stärkte. Es war klar, dass einige der Schattenschwingen nicht lange bitten, sondern sich einfach nehmen würden, wonach ihnen der Sinn stand. Außerdem verschwendeten sie keinen Gedanken daran, wie die Menschen damit umgehen sollten, wenn urplötzlich Portale ihr gesamtes Weltbild erschütterten. Einmal davon abgesehen, dass sicherlich nicht alle froh darüber wären, es mit einer überlegenen Spezies zu tun zu bekommen, die kraft ihrer Aura ihre Umgebung gestaltete und die Macht besaß, in die Menschen hineinzuschauen und ihre Gedanken beliebig zu verändern. Und das waren nur die Dinge, über die ich Bescheid wusste. In der Vergangenheit hatten die Schattenschwingen zweifelsohne über noch viel mehr Fähigkeiten verfügt, die weit über das mir Bekannte hinausgingen. Mir blieb nichts anderes übrig: Ich musste herausfinden, was uns bevorstand.
Mit Mühe schluckte ich meinen Stolz herunter. »Wenn ich dich darum bitte, wirst du mir dann von dieser gemeinsamen Vergangenheit erzählen?« Wieder erntete ich Schweigen. Er lässt mich büßen, dachte ich, für jede Demütigung, die ich ihm wissentlich oder auch unwissentlich zugefügt habe. Ich habe meinen Anspruch auf seine Unterstützung verwirkt.
Zu meiner Überraschung nickte Asami jedoch nach einiger Zeit. »Das werde ich, aber woanders. Dieser Ort hier mag ganz nach deinem Geschmack sein, Meer und Sand und Wind. Ich sehne mich allerdings nach Ruhe, die Geschehnisse der letzten Zeit lasten schwer auf mir.« Er brauchte nicht zu sagen, dass er damit nicht nur auf die Veränderungen in der Sphäre anspielte, sondern auch auf die Dinge, die zwischen uns standen. »Außerdem bedarf es eines Hilfsmittels, um dir lebhaft vor Augen zu führen, wie unsere miteinander verbundenen Welten damals aussahen. Dazu müssen wir in die Sphäre wechseln.«
Wie auf Befehl versteifte ich mich. Meine Entscheidung, die Sphäre nie wieder zu betreten, kämpfte gegen
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