Schattenschwingen - Zeit der Geheimnisse - Heitmann, T: Schattenschwingen - Zeit der Geheimnisse
nicht, ich inspiziere. Mensch, nur Pfefferminzbollos und … oh, was ist das denn? Schau mal, Kastor: einzeln verpackte Wasserbomben.«
»Das sind keine Wasserbomben, und jetzt hör gefälligst auf mit dem Blödsinn. Hier, nimm mein Handy und hör Musik. Aber nicht telefonieren, das ist bei Todesstrafe verboten.«
Ich drohte Ranuken mit dem Zeigefinger, aber das hätte ich genauso gut bleiben lassen können, denn er war bereits vollauf dabei, sich die Stöpsel in seine nicht gerade klein geratenen Ohren zu stecken. Einige Sekunden später trällerte er entzückt zur Rocky Horror Picture Show mit und verschwand – inklusive einiger Tanzeinlagen – in Richtung Sternwarte.
Somit war zumindest schon mal eine Schattenschwinge zufriedengestellt. Die andere erweckte allerdings nicht den Eindruck, als wäre ihr ähnlich leicht beizukommen.
Kastor musterte mich ernst. »Weiß Samuel, wo du bist, oder vielmehr, mit wem du dich triffst?«
Aha, aus dieser Richtung wehte also der Wind. »Nein, warum?« Mit gespielter Verwunderung zog ich die Augenbrauen hoch.
»Als ich Samuel das letzte Mal getroffen habe, hat er mir unmissverständlich klargemacht, dass er mit uns Schattenschwingen nichts mehr zu tun haben will. Deinetwegen. Weil das aus deiner Sicht die einzige Chance für eure gemeinsame Zukunft ist.«
Es war wirklich kein Wunder, dass Kastor und Sam sich derartig gut verstanden – sie waren aus dem gleichen Holz geschnitzt. Für Mädchen, die schmerzlich ihre Freundin vermissten oder gelegentlich ihre Meinung änderten, weil sie übers Ziel hinausgeschossen waren, war in ihrem Universum kein Platz. Bei ihnen wurde eine Entscheidung getroffen und dann beharrlich durchgezogen. Unter Kastors Blick fühlte ich mich wie ein Fähnlein im Wind, weil ich nicht genauso straight drauf war.
»Das stimmt, ich habe Sam darum gebeten, sich ganz der Menschenwelt zu verschreiben. Eine ziemlich drastische Bitte, schon klar. Aber nachdem meine Freundin Lena von einer Schattenschwinge angegriffen worden und dabei fast ums Leben gekommen ist, habe ich nur diese eine Möglichkeit gesehen … und Sam wohl auch. Jetzt, mit etwas mehr Abstand, war das – ehrlich gesagt – zu schwarz-weiß gedacht. Ich habe zu wenig daran gedacht, was das für Sam bedeutet, der ziemlich darunter leidet. Und mir geht es auch nicht besser, denn jemanden aufzugeben, dem man sich durch Freundschaft verbunden fühlt, kann nicht richtig sein. Deshalb bin ich gekommen: Ich möchte Shirin besuchen.«
Kastor musterte mich so eindringlich, dass mir ganz heiß wurde. »Hat Samuel dir von Shirins Zustand erzählt?«
»Samuel, Samuel … also weißt du: wirklich! Sam ist mein Freund und nicht mein Besitzer, dessen Erlaubnis ich erst einmal einholen muss. Ich bin als Shirins Freundin hier, ich will wissen, wie es ihr geht. Mehr nicht, verstanden?«
Ich wollte schnurstracks an Kastor vorbeigehen, doch er stellte sich mir in den Weg. Obwohl es mir nicht im Geringsten schmeckte, blieb ich stehen, ich kannte nämlich die Muskeln, die sich unter seinem Oberteil verbargen. Falls er sich stur stellte, würde ich einige Probleme haben, an ihm vorbeizukommen.
»Natürlich kannst du deine eigenen Entscheidungen treffen, das wollte ich keineswegs in Frage stellen«, sagte er zu meiner Erleichterung. »Du solltest allerdings wissen, dass Shirin schwere Wunden davongetragen hat, die wir bislang nicht heilen konnten. Es ist schwierig, zu ihr vorzudringen. Darauf wollte ich dich vorbereiten, gerade weil du ihre Freundin bist.«
Ich hatte mit meiner Vermutung also richtig gelegen: Shirin war verletzt. Während Kastor auf den Eingang der Sternwarte deutete, bemühte ich mich darum, meine überspannten Nerven im Zaum zu halten, ansonsten würde meine Anwesenheit hier nichts bringen. Du musst stark sein, wenn sie schwach ist, sagte ich mir. Wir hatten schon immer einen besonderen Draht zueinander.
Blieb nur zu hoffen, dass dem immer noch so war.
9 Ein Dorn im Fleisch
Der Quader, auf dem die Kuppel der Sternwarte ruhte, beherbergte zwei Räume, deren ursprüngliche Funktion nach dem Einsatz von Schattenschwingen-Magie nicht mehr zu erkennen war. Mit einem Lächeln musste ich an Sams Bemühungen denken, Lucas stilvoll runtergekommen Wohnwagen aufzuräumen, wofür er vor allem seine Hände und unzählige Mülltüten benutzt hatte. Dabei ging es auch anders, wie das weiß schimmernde Innere des Eingangsbereichs bewies, der allein von seinen Ausmaßen her deutlich über dem des
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