Schattenseelen Roman
sich zurück. Nun aber hatte er sich verraten. Der Knirps würde sicherlich nach Hause laufen und seiner Mutter von dem Vorfall erzählen. In ein paar Stunden würde sich das ganze Dorf das Maul über ihn zerreißen. Vielleicht würde er umziehen müssen, wie schon so oft zuvor.
Scheiß drauf.
Jetzt galt es zu handeln. Die Schwangere brauchte seine Hilfe. Er hoffte, sie rechtzeitig zu finden, um ihr das Leben zu retten.
Nachdem der Boden unter seinen Füßen aufgehört hatte zu schwanken, taumelte Kilian zur Küchennische. Er drehte den Hahn auf und wusch sich das Gesicht. Das kalte Wasser brachte Erleichterung.
Das Kätzchen miaute.
Kilian nahm eine Untertasse, goss Milch hinein und stellte dem Tier das Tellerchen hin. Akash kam angelaufen, verärgert über dieses Zeichen der Zuneigung. Er knurrte, und einen Moment schien es, als wolle er nach dem Kleinen schnappen. Das Kätzchen stellte sich auf die Hinterläufe. Es fauchte und schlug mit
den Vorderpfoten nach der Hundeschnauze wie ein Boxer. Jaulend verkrümelte sich Akash hinter die Couch.
Kilian ertappte sich dabei, wie er schmunzelte. Das hatte er schon lange nicht getan - zu lächeln, weil ihm danach war, nicht, weil die Situation es erforderte. Bei dem Gedanken daran lächelte er noch breiter. Er mochte das Pelzknäuel.
8. Kapitel
A ls kleines Mädchen hatte Evelyn sich oft ausgemalt, wie es wohl sei, wie eine Prinzessin zu nächtigen. Im Gästezimmer der Villa gingen ihre Kinderträume in Erfüllung. Sie tauchte in ein Bett ein, das ihren ermatteten Körper wolkenzart empfing. Rubinrote Samtvorhänge, an den Pfosten mit goldfarbenen Schleifen zusammengebunden, hüllten ihr Himmelbett ein. Hinter den großen Bogenfenstern sah sie den aufgehenden Mond, der einen silbernen Schimmer auf das polierte Parkett warf.
Doch ähnlich wie die Prinzessin auf der Erbse wälzte sich Evelyn hin und her, ohne einschlafen zu können. Die Sorgen um die Zukunft fraßen sich wie Rost in ihre Seele. In der Dunkelheit kehrten die Schreckgestalten zurück und scharten sich an der dünnen Membran zusammen, die sie von dieser Welt trennte. Evelyn vergrub den Kopf unter dem Kissen, doch die Rufe aus dem Jenseits drangen trotzdem an ihre Ohren.
Sie fand sich in einem unruhigen Traum wieder. Oder vielleicht lag sie nur da und fantasierte? So genau ließ sich das nicht sagen, die Grenze zwischen dem Trug und der Wirklichkeit verschwamm.
Evelyn irrte durch einen schwarzen Nebel, der ihre Haut mit einem öligen Film bedeckte. Sie suchte nach etwas. Oder nach jemandem. Ohne sich im Klaren darüber zu sein, was oder wen sie verloren hatte und warum es so wichtig war, es oder ihn wiederzufinden.
Ein seltsamer Drang trieb sie vorwärts. Schemen und Schatten wölbten sich um sie und verflossen wieder. Erst als sie es nicht mehr aushalten konnte und laut »Adrián!« in den Nebel hinausschrie, bekam ihr Verlangen einen Namen. Die Schatten lachten über sie. Du dummes Mädchen, du wirst ihn nie bekommen, ihn niemals bei dir halten können …
Nein!, wollte Evelyn rufen und begriff, dass sie selbst es war, die das Unheil prophezeit hatte. Doch sie suchte weiter und verlor sich immer mehr im Nebel, der nicht nur ihre Stimme, sondern auch sie selbst Stück für Stück verschluckte.
Bis sie im wabernden Dunst Adriáns Umrisse erkannte. Evelyn kämpfte sich zu ihm durch, als wate sie durch einen Sumpf. Endlich berührten ihre Finger seine Schulter. »Ich habe nach dir gesucht.«
»Das war nicht zu überhören, guapa .« Das fremde Wort klang neckisch und zugleich liebevoll aus seinem Mund.
»Sind wir jetzt auf ewig miteinander verbunden?«
»Keine Ahnung. Du bist die Erste, mit der ich das erlebe.« Mit beiden Händen umschloss er ihr Gesicht. »Aber ich will das nicht. So nicht.«
Sie schmiegte die Wange in seine Handfläche. »Ich genauso wenig.«
Ihn so nah zu spüren, brachte sie schier um den Verstand. Die Hitze tobte in ihrem Inneren und verlangte nach mehr. Evelyn hob den Kopf und forschte in Adriáns Augen. Sah sie Liebe darin? Oder nur die Schatten des Bannes, der auf ihnen lastete und sie verzehrte? Nein, wie konnte das Liebe sein, wenn sie einander so fremd waren?
Er tat ihr leid. Sie selbst tat sich leid. Das hatten sie nicht verdient. Nicht diese Lüge von Gefühlen.
Adrián neigte den Kopf, und sein Atem strich über die Haarsträhnen, die ihr Gesicht umrahmten. »Ich finde es erschreckend, sich so sehr nach jemandem zu sehnen.«
»Ich auch.« Seine Nähe machte
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