Schattenspäher
zärtlich hob Eisenfuß ihn vom Boden auf, seine Hand durch seinen Umhang geschützt.
Ohne ein Lebenszeichen von Sela kehrten sie in den Tempel von Elenth zurück. Gleich darauf riss Silberdun die Kynosure von ihrem Podest, schleuderte sie zu Boden und zerschmetterte sie in tausend Stücke.
43. KAPITEL
So tragt mich hinunter, so tragt mich fort,
legt meine Knochen an diesen Ort.
Verfluchet die Götter, die mich vernichtet,
und betet, dass sich ihr Zorn nie gegen euch richtet.
Trinklied der Seelie-Armee
Baron Glennets Beisetzung fand ihren Höhepunkt in einer aufwendigen Zeremonie, die während einer Sondersitzung des Senats abgehalten wurde. Mit viel Pathos wurde der Sarg vor dem Podest des Sprechers aufgebahrt und mit blauen und gelben Blumengirlanden dekoriert. Mit zumeist unterdrückter Abscheu sah Silberdun zu, wie die Lords und Gildenmeister zum Podium schritten, und Lobgesänge auf den Mann anstimmten, der zu seinem persönlichen Vorteil einen Krieg vom Zaun hatte brechen wollen.
Lord Everess lieferte dabei einen der anrührendsten Nachrufe, in denen er Glennets Zeit im Dienste des Seelie-Königreichs pries, wie auch dessen zahlreiche Verdienste um den Senat und seine Mitglieder. Ja, er ernannte Glennet gar zum größten Helden des Reiches und zum leuchtenden Vorbild für das Herz der Seelie.
Nur wenige im Senat glaubten indes der offiziellen Version über Glennets Ableben. Die meisten argwöhnten, er habe sich in die Schlacht gestürzt, um wenigstens ehrenhaft zu sterben, nachdem er finanziell ruiniert war. Falls seine Spießgesellen aus der Gildenfraktion - seien es nun Gläubiger oder Investoren - Verdacht an dieser Version hegten, so ließen sie es sich klugerweise nicht anmerken.
Der Gipfel der Geschmacklosigkeit war jedoch, dass Lord Ames Silberduns Senatsstuhl seit Jahren als Schnapsdepot missbrauchte. Nun gut, Silberdun hatte bis heute nur einmal in seinem Leben darauf Platz genommen, aber das war einfach eine Frage des Prinzips. Und so gönnte er sich während der Zeremonie äußerst genüsslich einen von Ames' teuersten Tropfen.
Wenn es nach ihm ging, so konnte Ames den verdammten Stuhl gern haben; nach dem heutigen Tag würde Silberdun ohnehin nie wieder darauf Platz nehmen.
Nach der Beisetzungsfeier traf er sich mit Eisenfuß, Paet und Everess in einem Kaffeehaus an der Promenade. Dort tranken sie feixend »auf den ehrenwerten Baron Glennet« und saßen danach eine Weile einfach nur schweigend da.
»Ihr habt ja im Senat ganz schön dick aufgetragen«, sagte Silberdun schließlich zu Everess und leerte sein Glas.
»Man lasse nie die Gelegenheit verstreichen, einen verblichenen Kollegen öffentlich zu preisen«, sagte Everess. »Das gehört zu guter Politik nun mal dazu.«
»Ich schätze, die Schattenliga hat nun einen erheblich besseren Stand im Senat?«, bemerkte Eisenfuß.
»Nun, wir haben immer noch Feinde«, erklärte Everess, »aber die wissen, was ihnen blüht, sollten sie gegen mich aufbegehren.«
»Gegen uns«, sagte Silberdun. »Sollten sie gegen uns aufbegehren.«
»Gewiss«, Everess nickte. »Gewiss.«
An diesem Nachmittag bestatteten Paet, Silberdun und Eisenfuß Selas Armreif zwischen den verwilderten Büschen hinter Haus Schwarzenstein. Er fand seine letzte Ruhestätte in einem kleinen Loch nahe der Mauer. Dann ließen sie eine sündhaft teure Flasche Branntwein kreisen (gestiftet von Lord Ames) und sprachen eine Weile miteinander.
»Es überrascht mich, dass du hierzu eingewilligt hast, Paet«, bemerkte Silberdun. »Sagtest du nicht mal, dass Schatten keine Beerdigungen erhalten?«
Paet öffnete den Mund, als wolle er etwas darauf erwidern, zuckte stattdessen jedoch nur die Achseln und ging davon.
Als er fort war, setzten sich Silberdun und Eisenfuß auf den Boden neben den winzigen Erdhügel und leerten die Flasche.
Am frühen Abend entstiegen Faella und Silberdun einer gemieteten Kutsche, die vor dem Friedbrück-Anwesen zum Stehen kam. Laub wehte über den Hauptweg und fegte über die ausgedehnten Rasenflächen. Der Frühling nahte, doch der Herbst war noch immer bei der Arbeit.
Eine Dienerin ließ sie ins Haus; Silberdun kannte sie nicht, doch andererseits war er auch schon sehr lange nicht mehr hier gewesen. Das Mädchen wiederum machte nicht den Anschein, als wüsste es, wer er war. Es wurde ihnen Tee angeboten, den sie dankend annahmen.
So saßen sie mit ihren Tassen im Salon, als Bresun eintrat. »Wenn das nicht Perrin Alt, Lord Silberdun ist«, sagte
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