Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Schattenspiel

Schattenspiel

Titel: Schattenspiel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Charlotte Link
Vom Netzwerk:
aber immerhin zehn Minuten. Am Abend vorher war er mit einem sehr netten jungen Mädchen, das er auf Mrs. Grays Geburtstagsparty kennengelernt hatte, essen gegangen. Mrs. Gray hatte letzte Woche gefeiert, und jeden eingeladen, ob er mit ihr oder für sie arbeitete. Steve hatte ziemlich weit unten am Tisch gesessen, was ihn zunächst ärgerte, aber als er merkte, wie hübsch seine Tischnachbarin aussah, besserte sich seine Stimmung. Sheila Willard war neunzehn Jahre alt und engagierte sich in einem Komitee für krebskranke Kinder. Sie hatte weiches, braunes Haar und sanfte, dunkle Augen. Steve fand sie sehr attraktiv. Er hatte sie zum Essen eingeladen gestern, weil er plötzlich das Gefühl gehabt hatte, den Abend auf keinen Fall allein überstehen zu können. Mittags hatte er bei seinen Eltern in Atlanta angerufen, ein Wahnsinn im Grunde, denn diese Transatlantiktelefonate verschlangen Unsummen, aber da seine Eltern nie bei ihm anriefen, mußte er es tun, wollte er überhaupt einmal mit ihnen sprechen.

    »Mum, ich bin es, Steve!«
    Sekundenlanges Schweigen. Dann: »Oh... Steve ...« Seine Mutter sprach wie immer, leise und gedehnt, etwas schläfrig. Sie sprach so, wie sich eine Katze räkelt.
    »Mum, geht es euch gut?«
    »Ja...ja, danke. Uns geht es gut.«
    Wieder war dieser Kloß in seiner Kehle. Jedesmal, wenn er in Atlanta anrief, mußte er irgendwann abrupt den Hörer auflegen, weil ihm die Tränen kamen. Warum fragte Mum nie, wie es ihm ging? Sie, die früher einen Riesenzirkus veranstaltet hatte, wenn er nur mit einer Schramme am Arm von der Schule zurückgekehrt war. Dann nannte sie ihn ihren »Einzigen«, ihren »Engel«, ihr »Lämmchen«. »Sag Mummie, was passiert ist! Wer hat dir weh getan? Möchtest du ein Stück Schokolade? Komm, wir gehen und kaufen dir etwas Schönes, ich habe bei Harrod’s so einen schönen Pullover gesehen, Cashmere, weiß...« Mum, hätte er heute am liebsten manchmal geschrien, war es denn wirklich so schlimm, was ich getan habe?
    Obwohl sie wieder nicht danach gefragt hatte, sagte er jetzt am Telefon: »Mir geht es auch recht gut, Mum. Ich verdiene mehr Geld.«
    »Wie schön.«
    Es interessiert sie nicht im mindesten, dachte er. Seine Augen schwammen bereits. »Habt ihr... habt ihr etwas von Alan gehört?«
    »Wie bitte?«
    »Alan! Ob ihr etwas von Alan gehört habt?«
    »Nein.« Das klang beinahe verwundert. Wieso sollten wir etwas von Alan gehört haben? Wer ist Alan?
    »Na gut, Mum, es wird ziemlich teuer, fürchte ich. Grüß Dad von mir, ja? Ich melde mich wieder.« Er legte den Hörer gerade noch auf, bevor ihm die Stimme brach. Er lief in seinem Zimmer herum, kämpfte mit den Tränen, rückte sinnlos ein paar Dinge zurecht und blieb schließlich vor einem Stück bedruckten Papiers stehen, das in einem Bilderrahmen an der Wand hing. Es handelte sich um einen Zeitungsartikel, eine kurze Meldung
nur, die berichtete, Andreas Bredow habe seine Schußverletzungen überlebt, sei jedoch dabei erblindet. Steve hatte gejubelt. Pech gehabt, David! Kein Erbe, jetzt jedenfalls noch nicht. Was hast du gezittert, gehofft, daß der Alte abschrappt! Aber diese Generation ist zäh. Wird’s noch eine Weile machen, der Knabe aus Deutschland.
    Er drehte sich um und trat entschlossen noch einmal ans Telefon. Daneben lag ein Zettel. Die bezaubernde Sheila Willard hatte ihm ihre Nummer gegeben.
    Sie waren ins »Cembalo« gegangen, ein erstklassiges Restaurant im Westen Londons. Gedämpfte Musik, Kerzenlicht, dezent umherhuschende Kellner, schwarzbefrackt, versteht sich. Steve trug seinen besten Anzug aus früheren Tagen, den er von einem zweitklassigen Hinterhofschneider modisch hatte auf Vordermann bringen lassen, und Sheila hatte ein wadenlanges Streublumenkleid von Laura Ashley an, in dem sie aussah wie eine zarte Porzellanpuppe. Steve bestellte den besten Wein, und dann aßen sie sich durch ein Menü von fünf Gängen. Der Ober bekam ein großzügiges Trinkgeld, dann stand Steve auf, nahm Sheilas Arm und sagte: »Jetzt gehen wir tanzen.«
    Im Nachtclub spendierte er eine ganze Flasche Champagner, Taittinger, und dem Boy, der herumlief und hellrosa Rosen anbot, kaufte er gleich drei Sträuße ab, machte sie zu einem und überreichte ihn Sheila. Er genoß ihren überraschten Blick, dachte dabei aber voller Unbehagen: Das bist doch nicht du, Steve, der hier so protzt, der hier den großen Mann spielt! Wie widerlich du dich aufführst!
    Um ein Uhr standen sie wieder auf der Straße, Sheila

Weitere Kostenlose Bücher