Schattenspiel
dann gieriger. Miss Hunter machte für drei Wochen Urlaub, er fühlte sich unbeobachtet und ging an größere Schecks. Fünfzig Pfund, hundert Pfund... er wußte, von
jetzt an wurde die Sache ein Drahtseilakt. Mit den Schecks mußte er zur Bank, mußte sie auf sein Konto buchen lassen; das gestohlene Geld trat aus der verschwiegenen Heimlichkeit von Hosentasche und Stahlkassette hinaus in die Öffentlichkeit. Die Wahrscheinlichkeit, daß er irgendwann auffliegen würde, wuchs.
Er faßte einen Plan: Er würde England verlassen. Dieses Land, in dem ihm keiner mehr eine Chance gab, in dem er nur noch Dreck war. Wenn er genug Geld beisammen hatte, würde er nach Australien gehen. Nach Sydney. Vielleicht würde ihn dort eine Bank anstellen, er mußte nur Geld haben, um sich eine Zeitlang über Wasser halten und so seriös wie möglich auftreten zu können. Solche Eskapaden wie die gestern abend mit Sheila rissen natürlich ein gewaltiges Loch in seine Ersparnisse. Schön blöd war er!
Er wartete, bis Miss Hunter sein Büro verlassen hatte — was schlich diese Hexe auch immer um ihn herum! —, dann begann er die Post zu öffnen. Spenden, Spenden, Spenden, viele Bittbriefe — aber für die war er nicht zuständig —, Lobeshymnen, seitenlange Beweihräucherungen von Pat Grays guten Taten...oh, wie ihm das alles zum Hals heraushing! Noch ein Brief, noch ein Brief... nahm das denn kein Ende?
Er hielt ein Kuvert in den Händen, blaßgrau, sehr schmal, sehr fein und sehr teuer. Seidenfutter knisterte, als er es öffnete. Ein Scheck fiel heraus — eintausend Pfund!
Steve starrte auf das blaue Papier, das mit Schreibmaschine beschrieben war. Unterschrieben hatte ein Sir Charles Aylesborough. Eintausend Pfund, das kam ganz selten einmal vor. Alle paar Monate vielleicht. In solchen Fällen unterschrieb Pat Gray die Dankesbriefe selber und lud oft sogar den Spender zu sich auf ihr Gut ein, wo sie ihm stundenlang von ihrer Arbeit und ihren Erfolgen erzählte.
Steve hatte von solchen Summen bisher die Hände gelassen. Das Eisen war ihm zu heiß. Er ging genug Risiken ein, er mußte das Wagnis nicht auf die Spitze treiben. Aber an diesem Morgen, übernächtigt, frustriert und verbittert wie er war, glaubte er,
diesmal nicht verzichten zu können. Er spürte, er stand an einer Grenze. Gelang es ihm nicht bald, ein neues Leben zu beginnen, rutschte er ab und kam vielleicht nie mehr auf die Füße. Für ein neues Leben aber brauchte er Geld.
Er schob den Scheck in die Innentasche seines Jacketts.
3
Derselbe Morgen im Osten Londons. Mary kam vom Einkaufen zurück. Sie kaufte immer für eine Woche im voraus ein, dann war zwar das Geld weg, aber damit auch vor Peters Zugriff sicher: Er konnte es nicht mehr in die Kneipe tragen. Und sie hatte die Chance, eine Woche lang jeden Tag etwas Anständiges zu kochen.
Eigentlich hatte sie vorher noch zum Zahnarzt gewollt, war fest überzeugt gewesen, einen Termin zu haben. Aber als sie abgehetzt vor der Praxis ankam, stellte sich heraus, daß sie den Termin erst morgen hatte. Typisch, dachte sie. Immer häufiger passierten ihr solche Dinge, sie verwechselte alles, brachte alles durcheinander, erschien am falschen Ort zur falschen Zeit, schüttete Zucker in die Suppe statt Salz, wusch Cathys Pullover so heiß, daß sie nachher ihren Puppen paßten und griff zur Zahnbürste, wenn sie sich eigentlich die Haare kämmen wollte. Mit dem Kind haben die mir auch den Verstand herausgekratzt, ging es ihr oft durch den Sinn. Sie war nicht mehr dieselbe seither, das wußte sie. Irgendwie lebte sie wie unter einer Glocke.
Alles schien ihr gedämpft, weit weg. Es war ein Gefühl, als lebe sie nur halb. Das Warme, das Lebendige, das Junge, oder weiß der Teufel, was es war, gab es nicht mehr in ihr. Es schien ihr, als fließe das Blut gemächlicher seither, als schlüge ihr Herz langsamer. Alles reduzierte sich. So wie die Farben eines alten Bildes langsam verblassen.
Nur — ich bin nicht alt!
Langsam stieg sie die Treppen zu ihrer Wohnung hinauf, die
Einkaufstüten wogen schwer, und sie hatte sie schon von der Bushaltestelle durch die Straßen bis zur Haustür geschleppt. Im Briefkasten war ein Brief von Natalie gewesen. Mary freute sich darauf, ihn zu lesen. Hoffentlich war Peter — der immer noch keine Arbeit gefunden hatte — schon in die Kneipe gegangen, dann hätte sie ihre Ruhe. Sie würde sich eine Tasse starken Kaffee machen, sich gemütlich in die Küche setzen und lesen.
Als sie die
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