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Schattenspiel

Schattenspiel

Titel: Schattenspiel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Charlotte Link
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unterschlagen?«
    »Soll ich ihn in die Zeitung setzen?«
    »Du kannst ihn doch nicht einfach im Wald verscharren, oder was bildest du dir ein?« rief Gina außer sich.
    Sie schwiegen beide. Still und heiß senkte sich die mittägliche Ruhe wieder über die Farm. Mücken schwirrten durch die Luft. Aber in die Idylle hatte ein Schuß gekracht; sie wußten es beide. Jetzt war nur noch das leise, gleichmäßige Kauen der Pferde zu hören, im Hintergrund das Plätschern der Quelle. Lord lief in einem großen Kreis um das kleine Grüppchen herum, an den stinkenden Gipsy wagte er sich noch immer nicht heran.
    »Der Taxifahrer kann jeden Moment kommen«, sagte John nervös.
    »Dann schicken wir ihn gleich los, einen Arzt holen.« Ginas Stimme klang zu ihrer eigenen Verwunderung ruhig und bestimmt. »John, es war ein Unfall, was hier passiert ist. Gipsy ist eigenmächtig zu den Pferden hineingegangen. Max kann jedem bestätigen, wie gefährlich das ist.«
    »Wenn der Alarm nicht ausgeschaltet gewesen wäre ...«
    »Wenn wir hier eine Woche Urlaub machen, ist es wohl mehr als wahrscheinlich, daß wir den Alarm tagsüber ausschalten. Wir befinden uns auf einer Farm, nicht in Fort Knox.«
    »Oh, Gott!« Wie immer, wenn John sich aufregte, fuhr er sich mit allen zehn Fingern durch die Haare. »Was sage ich denn, wenn die wissen wollen, warum Gipsy hier war?«
    »Ein alter Kriegskamerad von dir. Du hast jetzt erst erfahren, wie krank er ist, und hast ihn zu dir eingeladen, um ihm ein paar schöne Tage zu machen. John«, sie nahm seine beiden Hände, und es kam ihr schmerzhaft zu Bewußtsein, wie grotesk die Situation war: Sie knieten im Staub unter brennender Sonne und reichten sich die Hände über einen Toten hinweg. »John, niemand
wird das merkwürdig finden. Glaub mir. Kein Mensch weiß, daß du auf der Veranda einen Koffer mit einer Million Dollar hast, und es wird auch keiner je erfahren. Niemals!«
    Er hob seinen Blick von dem toten Gipsy, und in seinen Augen dämmerte das Erstaunen darüber, wie schnell sie sich gefaßt hatte, wie bedingungslos sie bereit war, ihm zu helfen, und wie fair sie sich verhielt, indem sie mit keinem Wort den Schuß erwähnte. »Wenn du ihn einfach... verschwinden läßt«, fuhr sie fort, »begibst du dich in weit größere Gefahr. Zumindest der Taxifahrer weiß, daß er hier war.«
    »Er wird sich nicht an jeden Fahrgast erinnern.«
    »An diesen, fürchte ich, schon. Möglicherweise wird kein Mensch je nach Gipsy forschen, aber weißt du genug von seinem Leben, um das vollkommen ausschließen zu können? Du solltest kein Risiko eingehen.«
    Das waren Worte, die er verstand. »Ja«, sagte er, »ja, du hast recht. Wir müssen...«
    Ein fröhliches Hupen klang von der Einfahrt des Hofes her. Das Taxi bog um die Ecke. John war jetzt weiß wie die Wand. » Gina...« Wenn alles gutgegangen ist, wirst du dich zu seinem Tod beglückwünschen, dachte sie bitter. Laut sagte sie: »Alles wie besprochen. Verstanden?« Das kam so scharf, daß er zusammenzuckte. Sie war bereits aufgestanden und dem Taxifahrer entgegengelaufen.
    Dieser betrachtete die Leiche mit einer Mischung aus Neugier und Grauen, und beglückwünschte sich ganz offensichtlich dazu, daß am Flughafen gerade dieser Mann in sein Auto gestiegen war. Erst wäre er ja beinahe in Ohnmacht gefallen, so hatte der häßliche Kerl gestunken, und es hatte nicht einmal etwas genützt, alle Fensterscheiben und das Verdeck aufzukurbeln. Aber dann war es eine lange Fahrt geworden, bis in die Berge hinein, das brachte viel Geld. Zurück sollte er ihn auch noch bringen, das brachte noch einmal soviel Geld. Dazwischen ein freies Mittagessen — und jetzt war der Kerl auch noch tot! Die schöne junge Frau bat ihn ganz aufgeregt, er möge doch gleich einen Arzt holen, und er schaute in ihre flackernden Bernsteinaugen
und fragte sich, warum er solche Frauen nie kennenlernte.
    »Klar«, sagte er, »ich mach das. Ich treibe einen Arzt auf und verständige die Polizei. Armer Kerl, der Alte da! Hat man so was schon erlebt? Von Pferden totgetrampelt!« Er schauderte wohlig.
    Gina gebärdete sich, als sei sie vollkommen durcheinander, und sie tat das so überzeugend, daß John sie bewundernd anstarrte. Wenn die Polizei erschiene, würde sie hilflos und entsetzt herumflattern, und am Ende würden die Beamten mehr Mitleid mit ihr haben als mit dem Toten. Er dachte an seine eigene Kopflosigkeit und wußte, er hätte es Gina zu verdanken, wenn das alles gut

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