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Schattenspiel

Schattenspiel

Titel: Schattenspiel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Charlotte Link
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ausginge.
    Ich brauche sie, ging es ihm durch den Kopf, ich brauche sie mein Leben lang.
    »Ich werde Max anrufen«, sagte sie. Durch das geöffnete Fenster vernahm er ihre aufgeregte Stimme. »Max, hier ist Gina Loret. Es ist etwas Furchtbares geschehen. Sie müssen gleich herüberkommen ...«
     
    Es hatte furchtbar viel Aufregung und Wirbel gegeben, und als dann der Abend hereingebrochen war und endlich wieder Stille herrschte, kam es Gina vor, als müsse ihr Kopf platzen. Wirr und wild zogen Bilder und Stimmen des Tages durch ihr Gedächtnis: Clarisse, die fassungslos weinend mitten im Hof stand und schließlich zwei Schnäpse brauchte, weil sie umzukippen drohte.
    Max, der wieder und wieder sagte: »Aber ich hatte doch ausdrücklich vor dem Schwarzen gewarnt!« Bis es John reichte und er ihn anfuhr: »Ja, verdammt, das haben Sie, und nun ist es trotzdem passiert, deshalb seien Sie endlich still!«
    Die zwei Beamten, von denen der eine mit unbewegter Miene den Geschehenshergang zu Protokoll nahm, sehr sachliche Fragen stellte und sich über gar nichts zu wundern schien. Sein Kollege hatte es sich in den Kopf gesetzt, Gina zu trösten. Er stand ständig neben ihr, hielt ihr etwas zu ausgiebig die Hand und
sagte: »Kommt alles wieder in Ordnung, junge Frau, kommt alles in Ordnung!«
    Dann war da noch der Taxifahrer, den John längst bezahlt und dem er mindestens dreimal ›Auf Wiedersehen‹ gesagt hatte, der sich aber nicht vom Ort des Geschehens losreißen konnte.
    Ein Arzt — mit angewidertem Gesichtsausdruck — stellte den Tod fest. Er nahm danach dankbar einen Schnaps, den Gina ihm anbot, leerte die halbe Flasche und hatte einen etwas schwankenden Gang, als er schließlich davonging.
    Ein Reporter tauchte plötzlich auf, ein kleiner, schmächtiger Mann, der heftig lispelte und lange, dünne blonde Haare hatte. Gina mutmaßte, der Taxifahrer habe ihn verständigt. Er besaß ein kleines Tonbandgerät, dessen Rücklaufmechanismus nicht funktionierte, weshalb er ständig mit der Kassette im Kampf lag und mit den Fingern an ihr herumdrehen mußte. Er ging jedem auf die Nerven, wurde nur angeschnauzt und fand das einzige willige Opfer in der armen Clarisse, die aber vor lauter Schluchzen kein Wort hervorbrachte und sich daher als ungeeignete Interviewpartnerin erwies.
    Und John schließlich, er war so bleich gewesen. Gina hatte immer nur gedacht, hoffentlich steht er es durch. Einmal schien es, als wolle er die kleine Ratte von einem Journalisten am liebsten vom Grundstück jagen, aber er beherrschte sich zum Glück. Sie mußten so harmlos wie möglich wirken, verstört natürlich, weil ein guter Freund auf schreckliche Weise ums Leben gekommen war, aber weder Polizei noch Presse fürchtend. John durfte sich nicht in Mißkredit bringen, indem er einen Journalisten zusammenschlug.
    Wo war John überhaupt? Gina hatte sich elend und erschöpft in einen der Korbsessel auf der Veranda fallen lassen, noch so weit kontrolliert, daß sie ängstlich jenen Stuhl vermied, auf dem Gipsy gesessen hatte. Jetzt stand sie auf und lauschte ins Haus. Tatsächlich, sie hatte es sich gedacht. Sie hörte das vertraute Geräusch von Eiswürfeln, die in ein Glas fielen. Also machte sich John schon wieder einen Drink, den wievielten eigentlich in den letzten Stunden? Sie ging ins Wohnzimmer. John stand an der
Bar und schob gerade die Wodkaflasche von sich. Der Aschenbecher auf dem Tisch quoll beinahe über. Johns Gesichtsfarbe war von einem gespenstischen Grau.
    »Du mußt Hunger haben«, sagte Gina sanft, »soll ich etwas zu essen machen?«
    John erschrak, er hatte sie nicht kommen hören. »Nein«, sagte er, »ich bringe jetzt nichts hinunter.«
    »Oh — von diesem Zeug da schon eine ganze Menge, oder nicht?« Gleich darauf tat ihr diese Bemerkung leid. Sie hatte nicht zynisch sein wollen. »Entschuldige. Du hattest einen harten Tag. Vielleicht solltest du dich zu mir auf die Veranda setzen, wir könnten... über alles reden?«
    Er trank ein paar Schlucke. »Das nützt doch nichts mehr.«
    »Es nützt auch nichts, wenn du dich betrinkst.«
    »Mir nützt es etwas. Ich denke dann nicht mehr so genau an alles, was war.«
    Du denkst nicht mehr daran, daß du einen Mann umgebracht hast!
    Sie schwiegen beide. In die Stille hinein schrillte das Telefon. Gina wollte abheben, aber John war schneller. Sie sah, daß sein Gesicht einen gehetzten Ausdruck annahm.
    »Wo haben Sie das gehört?« fragte er. Dann, nach einer Weile, sagte er heftig:

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