Schattenspiel
»Jaja, es stimmt. Und jetzt lassen Sie mich bitte in Ruhe. Es ist eine Unverschämtheit, um diese Zeit anzurufen!« Er knallte den Hörer auf die Gabel. »Dieser Schmierfink von heute nachmittag war es. Wollte wissen, ob ich der Eastley bin, den die Republikaner bei der nächsten Gouverneurswahl in Kalifornien möglicherweise als Spitzenkandidaten aufstellen wollen. Es blieb mir nichts anderes übrig, als es zuzugeben. Oh, verdammt! « Wieder raufte er sich die Haare, sie standen nun schon in alle Richtungen, was ihm etwas rührend Kindliches gab. »Nun wird es durch die Presse gehen!«
Er leerte sein Glas, setzte sich in einen Sessel und schien auch vom letzten Rest Energie verlassen.
Gina trat zu ihm und strich ihm sacht über den Kopf. »Du überstehst die Sache leicht, John. Es ist eine unangenehme Angelegenheit, aber dir wird niemand die Schuld daran geben. Du
hast sofort die Polizei verständigt. Max hat jedem, ob er es hören wollte oder nicht, erzählt, wie gefährlich der schwarze Hengst ist. Und es weiß ja niemand, daß ...« Sie brach ab.
John sah sie an. »Sprich es doch aus, Gina. Es weiß niemand, daß erst durch meinen Pistolenschuß die Pferde panisch wurden, das wolltest du sagen, nicht?«
Sie nickte. Es kostete sie ihre ganze Selbstbeherrschung, ihn nicht anzuschreien: »Ja, das wollte ich sagen, John, und erklär mir, verflucht noch mal, warum du das getan hast? Warum, warum, warum?«
Aber sie schwieg und hörte John leise flüstern: »Ich weiß nicht, was über mich gekommen ist. Ich weiß es nicht...«
Du weißt es schon, dachte sie hart, deine ewige Angst um deine Karriere ist über dich gekommen, diese Karriere, für die du über Leichen gehen würdest...
»Kein Mensch«, sagte sie fest, »wird je erfahren, was hier geschehen ist. Niemals.«
»Gina, ich...« Er hielt ihre Taille umschlungen und preßte sein Gesicht in ihren Schoß, und sie wußte, sie liebte ihn trotz allem.
»Ich mach jetzt doch was zu essen«, sagte sie, aber John stand auf und nahm ihre Hand. »Nein. Laß uns ins Bett gehen.«
Aha, das Allheilmittel der Männer in schwierigen Situationen.
Sie gingen hinüber ins Schlafzimmer, zogen sich jeder alleine für sich aus, abgewandt vom anderen, konzentriert auf sich selber. Gina ging ins Bad und putzte die Zähne. Im Spiegel betrachtete sie ihr Gesicht. Hauchfein zeigten sich auf der Nase ein paar Sommersprossen. John hatte heute einen Mann getötet, sie hatte zugesehen und geholfen, es zu vertuschen. Wie sah eine Frau aus, die das tat? Nicht anders als vorher, stellte sie fest. Sie verteilte ein paar Spritzer Parfum an Hals und Armen, bürstete sich über die Haare und kehrte ins Schlafzimmer zurück. John lag schon im Bett, er wirkte verletzlich und schutzlos. Sie kroch zu ihm unter die Decke wie in eine Höhle, dabei war sie es, die ihm heute Schutz und Trost geben mußte. Sie schlang beide Arme um ihn. »Du bist mir das Liebste, John«, flüsterte sie, »für immer.«
Sie hatten einander nie so lange, so zärtlich, so innig geliebt. Sie lagen und hielten sich in den Armen, einer den anderen streichelnd, ihn festhaltend, sehnsüchtige Worte flüsternd. Sie liebkosten einander mit ihren Lippen, leckten sich wie junge Katzen, kugelten übereinander wie Kinder, lachten leise und waren gleich darauf wieder von feierlichem Ernst. Sie waren ganz verzückt, als entdeckten sie zum ersten Mal etwas, was sie nie gekannt hatten. Sie bewegten sich vorsichtig, steigerten ihre Lust, um dann wieder still zu werden und nur mit Händen und Lippen den anderen zu berühren. Und plötzlich wurde ihre Lust zu unhaltbarer Leidenschaft.
Nachher lagen sie ineinander verschlungen da, schliefen, wie kleine Tiere einschlafen, mitten im Spiel überrascht. Sie wachten auf und kuschelten sich noch enger aneinander, und es war, als seien sie ein Herzschlag, ein Atem. Sie dämmerten, träumten...
John dachte, sie liebt mich um nichts weniger als vorher, und ich bin in Sicherheit.
Gina dachte, seltsam, es ist nicht anders als früher, es ist schöner, wir sind nicht nur Liebende, wir sind Komplizen.
Über diesen Gedanken schlief sie schließlich ein.
April 1983
Der Aprilabend war kühl und regnerisch. Ein ungemütlicher Wind wehte durch Londons Straßen. Von wegen Frühling, dachte Steve, der mit hochgeschlagenem Mantelkragen, die Hände tief in den Taschen seines Mantels vergraben, die Regent Street entlanghastete, es wird Zeit, in ein wärmeres Land zu kommen.
Er hatte das Flugticket!
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