Schattenspiel
telefonierten. »Ihnen muß ich nicht viel erklären, und ich nehme an, Sie werden nicht allzu nervös sein!«
»Oh, täuschen Sie sich nicht!« Sie lachte gezwungen. »Es ist schon etwas anderes, wenn man selber plötzlich in die Mangel genommen wird!« In Wahrheit fühlte sie sich viel elender, als sie zugeben mochte. Bei ihren eigenen Sendungen war sie immer von der gleichen Crew umgeben, man kannte dort ihre Schwächen, hatte gelernt, sich darauf einzustellen. Sowie die obligatorische Musikeinlage kam, stand die Maskenbildnerin schon mit der Puderquaste bereit, jemand brachte ein Glas Wasser, der Produzent — ein netter, junger, schwuler Mann von fünfunddreißig
Jahren — legte ihr den Arm um die Schultern und sagte: »Ganz ruhig, Nat. Tief durchatmen. Es läuft alles ganz großartig!« Sie hatte zwar niemandem erzählt, daß sie Tabletten nahm, aber sie vermutete, daß man in ihrer unmittelbaren Umgebung etwas ahnte. Sie hatte einmal durch Zufall zwei Leuten zugehört, die sich am Mischpult unterhielten. »Verdammt begabt, das Mädchen aus England. Schade, daß sie...«
Der Rest verlor sich in einem Flüstern. Natalie war überzeugt, daß sie über Drogen gesprochen hatten.
Hier bei Johnny Carson bewegte sie sich auf fremdem Terrain. Hier leistete ihr keiner Hilfestellung. Sie trug ein Kleid von Valentino, grüne Seide, sehr schmal geschnitten, mit einem breiten, bunten Gürtel um die Taille. Ihre Haare waren inzwischen länger, glatt und glänzend fielen sie bis auf die Schultern. Natalie wußte, daß sie gut aussah, und das verlieh ihr ein wenig Sicherheit. Aufmerksam hörte sie Johnny Carsons nächster Frage zu. »Hat es in Ihrem Leben zu irgendeinem Zeitpunkt den Augenblick gegeben, von dem Sie heute sagen würden, es war eine Wende in Ihrem Leben?«
»Nein. Es hat keinen Wendepunkt in meinem Leben gegeben. Nicht, was meine Arbeit, meinen Beruf angeht. Ich habe immer genau gewußt, was ich wollte, und ich bin darauf zugegangen — einigermaßen geradlinig, wie ich glaube.«
»Und wie ist es mit Ihrem Privatleben?«
Sie sah ihn fest an. »Auch da kann ich nicht sagen, daß es jemals einen Wendepunkt gegeben hätte.«
»Natalie«, sagte Johnny. »Sie haben bei Ihrem Fortgang von England für nicht unerheblichen Wirbel in der Presse gesorgt. Denn Sie gingen damals nicht allein. Sie wurden begleitet von einer jungen Schauspielerin, die Ihretwegen eine glänzende Zukunft in London aufgab. Ihr Name: Claudine Combe. Man sagt, Ihr Verhältnis zu Madame Combe sei sehr intimer Art.«
Er sah sie abwartend an, sie erwiderte seinen Blick schweigend. Er hatte keine Frage gestellt, also antwortete sie nicht.
»Es belastet Sie nicht«, sagte Johnny Carson, »in aller Öffentlichkeit als Lesbierin dargestellt zu werden?«
Sollte sie es abstreiten? Ausweichen? Die Klippe geschickt umschiffen?
Der gestrige Abend kam ihr ins Gedächtnis: Claudine war aus Philadelphia, wo sie gerade einen Film drehte, nach New York gekommen, um die nervöse, fiebrige Natalie nicht allein zu lassen.
»Laß uns essen gehen, Nat. Es ist nicht gut, wenn du den ganzen Abend in deiner Wohnung verbringst. Du brauchst jetzt ein bißchen Ablenkung!«
»Ich kann nicht. Ich kann heute abend nicht weggehen. Mir ist schlecht und ...«
»Dir ist schlecht, weil du wahrscheinlich seit Stunden nichts gegessen hast. Komm mit!«
Natalie ließ sich schließlich überreden. Sie hatte inzwischen ein kleines Appartement in der 72. Straße East, das sie eigentlich zusammen mit Claudine bewohnte. Aber Claudine war seit einiger Zeit ständig beruflich unterwegs. Etwas in ihrer Beziehung hatte sich gewandelt. Zu Anfang, in London, war es Claudine gewesen, die heftiger liebte und beständig darum warb, soviel Zärtlichkeit zurückzuerhalten, wie sie gab. Sie litt unter dem Heimweh nach ihrer Familie und Paris, und Natalie hatte eindeutig die Füße fester auf dem Boden. In Amerika wendete sich das Blatt. Claudine gewöhnte sich daran, nicht mehr bei ihren Eltern zu sein, fand auf einmal Gefallen an ihrem selbständigen Leben. Natalie hingegen brauchte immer mehr Valium, kam mit ihrem Therapeuten nicht zurecht und reagierte daher auf das Babylon Manhattan ängstlich und nervös. Es kam zu gereizten Auseinandersetzungen zwischen ihr und Claudine, wenn Claudine wieder für einige Wochen ihre Koffer packte. »Immer läßt du mich allein! Ich frage mich, warum du überhaupt mitgekommen bist nach Amerika!«
Sie landeten in einem chinesischen Restaurant, das
Weitere Kostenlose Bücher