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Schattenspiel

Schattenspiel

Titel: Schattenspiel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Charlotte Link
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nicht?«
    »Ja. Mein Gott! Ausgerechnet bei einer wohltätigen Stiftung hat er mehrere tausend Pfund unterschlagen, wurde aber offenbar von einer Vorgesetzten schärfer beobachtet, als er dachte. Sie haben ihn geschnappt, einen Tag, bevor er nach Australien fliegen wollte. Armer Steve!« Sie blickte auf, starrte zum Fenster hinaus in die Nacht. »Was ist nur aus uns allen geworden? Wir hatten tausend Träume, tausend Pläne, und wir waren überzeugt, daß uns nichts passieren kann. Aber jetzt...«
    »Du bist noch immer jung«, erinnerte Claudine sanft.
    Natalie fuhr herum, und für einen Moment ihrer Beherrschung beraubt, rief sie: »Ich bin nicht mehr jung! Schau mich an! Ich habe gesehen, wie sie einer Frau die Kehle durchgeschnitten haben. Ich bin vergewaltigt worden, nicht nur einmal, nein, zweimal, dreimal, viermal! Ich bin seit Jahren in psychotherapeutischer Behandlung und kann ohne Unmengen von Valium nicht mehr aus dem Haus gehen. Ich renne Karriereträumen hinterher, die ich nicht verwirklichen kann, weil meine Nerven nicht mitspielen. Ich bin nicht jung, Claudine, ich fühle mich wie eine wahnsinnig alte Frau!«
    2
    Niemand hatte sich damals vor einem Jahr länger um Gipsys Tod gekümmert, niemand zweifelte daran, daß alles so gewesen war, wie es John und Gina dargestellt hatten: Ein tragischer Unfall in den Bergen Kaliforniens. Es gab keine Freunde oder Verwandten, die intensivere Nachforschungen verlangt hätten. Johns Name ging natürlich durch die Zeitungen, aber fast
konnte er das als willkommene Publicity bezeichnen. Ausnahmslos kam er gut bei der Sache weg. Seine Vietnam-Vergangenheit wurde noch einmal aufgerollt, er stand da als einer der patriotischen Helden, die in den dunklen Zeiten der späten sechziger Jahre ihren Kopf für Amerika hingehalten hatten. Seine Freundschaft zu dem alten, kranken Gipsy machte ihn sympathisch. Alles in allem hatte die Angelegenheit einen guten Ausgang für ihn genommen.
    Nachdem er den ersten Schrecken überwunden hatte, ging John mit einer gewissen Kaltblütigkeit daran, Kapital aus der Sache zu schlagen. Er inszenierte ein pompöses Begräbnis, Gipsy bekam sogar einen Marmorstein und einen Eichenholzsarg. Man fotografierte John am Grab des einstigen Kameraden und schrieb dazu etwas von »stiller Trauer« und »wehmütigen Erinnerungen«. John las die Zeitungen, zerknäulte sie, warf sie in den Papierkorb. »Mich kotzt das genauso an wie dich«, sagte er zu Gina, obwohl sie sich überhaupt nicht geäußert hatte. »Aber wenigstens ist nun alles gut über die Bühne gegangen. Ich wünschte wirklich, das alles wäre nicht passiert! Warum mußte Gipsy wieder auftauchen und so eine idiotische Geschichte beginnen? «
    Warum mußtest du ihn umbringen? dachte Gina. Der Mord stand zwischen ihnen, ein großer unheilvoller Schatten. Vorbei die Zeit, da Gina geglaubt hatte, ihre Komplizenschaft werde sie enger aneinanderfesseln. Es gab da einen Unterschied zwischen ihnen: John hatte geschossen, nicht sie. Er war auf ihr Schweigen angewiesen, nicht sie auf seines. Die Situation, so wie sie war, verunsicherte ihn. Mehr denn je drängte er auf eine Heirat und fing an, Gina unter Druck zu setzen.
    »Du willst mich nicht heiraten, weil diese Sache auf der Farm passiert ist. Wahrscheinlich siehst du in mir einen Mörder.«
    »Es war ein Unglück«, entgegnete Gina und dachte zurück an den stillen, heißen Tag in den Bergen, als ein Schuß die Ruhe unterbrach. »Du hast aus einem Reflex heraus gehandelt.«
    Stimmte das wirklich? Manchmal glaubte sie es, manchmal wieder nicht. Aber sie liebte ihn, sehnsüchtig, schmerzhaft und
voller Angst, es könnte vorbei sein, irgendwann. Am Tag war sie fröhlich und strahlend, lachte ihr lautes Lachen und verströmte ebenso viel Energie wie Lebenslust. Nur John kannte die dunklen Nächte, in denen sie sich an ihn preßte wie ein frierendes Kind. Oft, wenn sie in den frühen Morgenstunden erwachte und das Gefühl der Einsamkeit über sie herfiel, kam sie zu ihm, kuschelte sich an ihn und schlief mit einem tiefen, zufriedenen Seufzer wieder ein.
    Irgendwann, in einer dieser Nächte, gab sie nach. Sie hatten einander geliebt, sie lag in seinen Armen, und er sprach wieder vom Heiraten.
    »Bitte, Gina. Ich wünsche mir nichts so sehr, wie daß du meine Frau wirst!«
    »John...Die Angst war wieder da.
    »Warum wehrst du dich dagegen? Hast du kein Vertrauen zu mir, oder zu uns? Ist es wegen der Sache mit Gipsy?«
    »Nein. Ich schwöre dir,

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