Schattenspiel
lachte. »Das geht ganz gut. Man braucht ja nicht für alles einen Schwanz. Lesbische Frauen behaupten sowieso, daß Schwänze die unsensibelsten Liebemacher der Welt sind. Plump und roh.«
»Hört, hört!« Das war David. Er schob sich nach vorne, seine Augen glänzten unnatürlich. »Warum brechen Sie die Lanze für die Lesben, Mrs. Drake? Und das mit solcher Vehemenz? Einschlägige Erfahrungen?«
»Natürlich nicht.« Jetzt wurde es Lucia unbehaglich zumute. »Ich meine, ich habe wirklich schon viel in meinem Leben ausprobiert, aber mit einer Frau? Nein. Da steh’ ich überhaupt nicht drauf!«
Sie hatte ihren Kopf aus der Schlinge gezogen. David schaute sich um, sein Blick blieb an Gina hängen. »Wie fandest du es? Damals mit Natalie?« Einen Moment lang herrschte absolute
Stille im Raum; man hätte die berühmte Stecknadel fallen hören können. Dann erklang die Stimme von Davids Begleiterin: »Du hast zuviel getrunken heute abend, David. Wir sollten jetzt besser gehen.«
»Warum denn? Ich unterhalte mich ganz harmlos mit Gina!«
Lucia Drake lachte schrill. »Die Boulevardblätter haben morgen wenigstens etwas zu berichten.«
John erwachte aus seiner Erstarrung. »Mr. Bellino«, sagte er so höflich wie möglich, »ich glaube, die junge Dame hat recht. Sie sollten jetzt wirklich besser gehen!«
Der kleine, dicke Mann schaute Gina mit hängender Unterlippe an. »Was meint Mr. Bellino?«
Dieser fette Gnom, das Krachen des Donners draußen und Lucia Drakes schrilles Lachen — für alle Zeit verband sich das zu einem Alptraum in Ginas Gedächtnis.
Gedämpft und wie aus weiter Ferne hörte sie sich sagen: »David, Natalie und ich kennen uns seit frühester Jugend. Wir gingen gemeinsam zur Schule. Natalies Neigungen waren keinem von uns bekannt.«
»Wirklich nicht?« David griff nach dem nächsten Glas, seine Freundin entwand es ihm. »Laß uns gehen!« flüsterte sie.
»Warum sollten Gina und ich nicht ein paar Jugenderinnerungen auffrischen? Wir haben doch viel miteinander erlebt! Denkst du noch manchmal an Saint Clare, Gina?«
»Ja!« Lieber Gott, laß ein Wunder geschehen. Laß David aufhören zu reden!
Keiner sagte etwas. Alle starrten von Gina zu David und von David zu Gina. John sah aus, als habe ihn der Blitz getroffen. Er schien unfähig, auf irgendeine Weise zu reagieren.
»Nach unserem Abschlußexamen machten wir alle zusammen Urlaub in Frankreich«, fuhr David fort, »die ganze Clique. Nein, halt, die arme Mary war nicht dabei. Wir waren zu viert. Steve, Natalie, Gina und ich. Erinnerst du dich an St. Brevin, Gina? An diese langen, heißen Tage? Wir waren sehr jung und sehr frei. Wirklich — außerordentlich frei. Besonders du, Gina. Und Natalie.«
»Werfen Sie ihn doch hinaus, Gina«, sagte Mrs. Brown. »Dieser Mann redet eindeutig zuviel.«
»Verlassen Sie sofort mein Haus!« sagte John scharf. »Auf der Stelle!«
»Das ist nicht klug von Ihnen, Mr. Eastley!«
»Gehen Sie!« wiederholte John leise.
»Okay.« Auf unsicheren Beinen näherte sich David der Tür. »Ich bin schon weg. Aber Tatsachen bleiben, und nicht einmal Sie, Mr. Eastley, können sie so einfach davonwedeln. Die Frau, die Sie heiraten wollen, hatte in ihrer Jugend ein Verhältnis mit der berühmten und seit kurzem geächteten Journalistin Natalie Quint. Sie sollten sich überlegen, ob das gut ist für Ihre Karriere! «
»Ich gebe nichts auf schmutzige Verleumdungen«, entgegnete John, aber er war weiß wie eine Wand.
»Halleluja«, sagte Lucia.
Lorraine legte ihre Hand auf Ginas Arm. »Es tut mir leid, Miss Loret. Wären Sie so freundlich, uns ein Taxi zu bestellen?«
Am nächsten Morgen regnete es immer noch, aber es wehte ein warmer Wind. Um sieben Uhr früh klingelte das Telefon. John, der keine Minute in der Nacht geschlafen hatte, nahm den Hörer ab. Es war sein Vater, und er kochte vor Wut.
»Hast du heute schon die Zeitung gelesen?« brüllte er.
John verzog das Gesicht. Er hatte ohnehin Kopfschmerzen, und das Geschrei seines Vaters, das so laut klang, als säße er neben ihm und nicht in San Francisco, machte die Sache nicht besser. »Nein, Vater, ich habe noch überhaupt keine Zeitung heute gelesen. Ich kann mir aber denken, was drinsteht.«
»Das ist ein Skandal!« John mußte den Hörer ein Stück von seinem Ohr weghalten, denn jetzt überschlug sich die Stimme des alten Eastley. »Das kann dich ruinieren, John! Das ist schlimmer als alles, was man über Gina sonst hätte schreiben können. Du
Weitere Kostenlose Bücher