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Schattenspiel

Schattenspiel

Titel: Schattenspiel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Charlotte Link
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anderen Seite des Kontinents wurde hörbar die Luft angehalten. »Du meinst...«
    »Er hat uns beobachtet. Und seit er mir das erzählt hat, hatte ich Angst, er würde eines Tages davon reden. Irgendwie ahnte ich, daß es passieren würde.«
    »Eines Tages«, sagte Natalie, »wird einer von uns ihm den Hals umdrehen, und diesen Menschen werde ich beglückwünschen, das sage ich dir.«
    »Es würde ihm jedenfalls recht geschehen!«
    »Hör mal, Gina, kann ich irgend etwas tun? Eine Erklärung in den Zeitungen abgeben, die alles richtigstellt? Ich würde dir wirklich gerne helfen!«
    »Nein, Nat, besser nicht. Es rührt die Sache noch einmal auf, und es klingt, als müßte ich mich verteidigen. Laß es ruhen. Sag mal, stimmt es, du willst weg aus Amerika?«
    »Ja. Ich bin nicht glücklich hier, und Johnny Carson hat mir den Rest gegeben. Ich habe ein Angebot in Frankreich. Ich werde nach Paris gehen.«
    »Viel Glück, Nat!«

    »Danke. Wenn etwas ist, dann melde dich bei mir. Sobald wir eine Wohnung haben, schreibe ich dir die Adresse.«
    »Wir?«
    »Claudine und ich. Sie kommt mit mir. Auf Wiedersehen, Gina!«
    Es hatte gutgetan, Nats vertraute Stimme und ihre freundlichen Worte zu hören, aber die Angst lag noch auf der Lauer. Plötzlich hatte Gina keine Lust mehr, spazierenzugehen. Sie ließ sich ein heißes Bad einlaufen und tauchte mit einem Glas Champagner in den weißen, duftenden Schaum. Lord saß daneben und sah ihr mit schiefgelegtem Kopf zu. Auf einmal mußte sie weinen, und es war ihr, als könne sie nie wieder aufhören. Sie weinte und weinte, und als die Tränen endlich versiegten, war das Wasser kalt geworden und der Champagner schmeckte schal.
    4
    Sie taten, was alle Touristen in Wien tun: Sie ließen sich mit dem Fiaker durch den 1. Bezirk kutschieren, sie besichtigten den Stephansdom, stiegen sogar zu der Pummerin hinauf, sie schauten den Lipizzanern in der Spanischen Hofreitschule zu und gingen danach zum Demel, wo Gina zum ersten Mal in ihrem Leben die Original-Sachertorte kostete. Sie war begeistert davon, ebenso wie von den milden, fast süßlich schmeckenden Peperoni, die sie auf dem Naschmarkt entdeckten. Sie bewunderten die prachtvollen Gemächer der Hofburg, standen lange vor der Anker-Uhr und aßen im Stadtheurigen »Figlmüller« das obligatorische größte Schnitzel der Welt, wobei Gina zehn Dollar an John verlor, da sie vorher gewettet hatte, sie werde selbstverständlich ihren Teller leeressen, dann aber lange vor dem letzten Bissen die Waffen strecken mußte.
    Sie bummelten zur Hofburg zurück, begeisterten sich an der Schönheit des Prunksaals der Nationalbibliothek und nahmen
zuletzt an einer Führung durch die Staatsoper teil, denn wegen der Theaterferien gab es keine andere Möglichkeit, einen Blick in das Innere zu werfen.
    Keiner von ihnen spielte auf die Ereignisse kurz vor ihrer Abreise an. Es war alles so weit weg. Wo lag Amerika? Fern von allem nahmen sie gleichsam die Flitterwochen vorweg.
    »Ich liebe dich, Gina«, sagte John tief in der Nacht, als sie einander in den »3 Husaren« gegenübersaßen. Das Kerzenlicht zeichnete sein Gesicht weich. Gina hob ihr Glas und prostete ihm zu. Sie dachte an die kommende Nacht mit ihm, so wie sie am Tag an die vergangene Nacht gedacht hatte. Die Nächte in Wien würden lebendiger in Erinnerung bleiben als die Tage, weil sie und John noch nie so fanatisch ihrer Liebe gelebt hatten.
    »Noch drei Tage«, sagte John, »dann sind wir verheiratet. Freust du dich?«
    »Das müßtest du mir ansehen.«
    Über den Tisch hinweg griff er nach ihrer Hand. »Bist du glücklich, Gina?«
    »Ja«, sagte sie, und nur ganz flüchtig und unbewußt fragte sie sich, ob sie log.
     
    Am Abend vor der Hochzeit sollte es einen Empfang in der amerikanischen Botschaft geben, zu Ehren der OPEC-Gäste in Wien. Den ganzen Tag über hatte John wichtige Besprechungen, aber er bot Gina an, ihr den Leihwagen zu überlassen, damit sie ein wenig in der Gegend herumfahren konnte.
    »Wir treffen uns um halb sechs im Cafe hier im Haus«, schlug er vor, »dann haben wir noch genügend Zeit, um uns in Ruhe umzuziehen. Paß gut auf dich auf, Liebling!«
    »Natürlich. Du aber auch.« Sie begleitete ihn ins Foyer hinunter und winkte ihm nach, als er vor dem Sacher in ein Taxi stieg. Der Tag war golden und warm, ein erster leiser Anflug von Herbst lag in der Luft. An der Rezeption stand ein großer Strauß gelber Chrysanthemen. Der europäische Herbst ist auch schön, dachte Gina,

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