Schattenspiel
Lampions, silberne Tabletts mit Champagnergläsern wurden herumgetragen, aus den Lautsprecherboxen erklang Musik. Je fröhlicher es wurde, desto öfter fühlte sich einer der Anwesenden bemüßigt, eine Rede auf das glückliche Paar zu halten. Im wesentlichen wurde ständig dasselbe gesagt — wurden dieselben Witze gemacht über immer das gleiche Thema.
»Lange genug habt ihr euch ja Zeit gelassen, aber nun, John, ist die Falle zugeschnappt!«
Gelächter.
»Laß es dir von uns alten Ehemännern gesagt sein: Ein Martyrium steht dir bevor!«
Wieder Gelächter. Warum müssen sie immer so tun, als ob wir Frauen uns darum reißen zu heiraten, dachte Gina, John wollte es unbedingt, nicht ich! Sie versuchte in das Lachen einzustimmen, schon deshalb, weil sich die Kameras der Fotografen auf sie richteten und sie nicht auf allen Bildern so ernst aussehen wollte. Ihr Blick fiel auf David, der mindestens sein zehntes Glas Wein trank. Er hatte die ganze Zeit an ihr geklebt, war abwechselnd sentimental und aggressiv gewesen.
»Weißt du noch, früher...«, fing er immer wieder an, und dann sagte er angriffslustig: »Wirklich nicht schlecht, wie schnell du dich nach oben katapultiert hast, Gina! Alle Achtung! Ich trinke auf dich und deinen Erfolg!«
»Du solltest besser gar nichts mehr trinken, David! Du hast genug. Und laß solche Anspielungen, du hast wirklich keine Ahnung von mir und meinen Angelegenheiten!«
Sie hielt sich dicht an John, um David keine Gelegenheit mehr zu geben, sie in ein Gespräch zu ziehen. Mit der Frau eines Senators unterhielt sie sich über die Kleider von Nancy Reagan, mit einem Börsenmakler über ihre letzte Kriminalgeschichte, mit einem Richter über Umweltschutz. Sie lachte, plauderte wie immer, aber die ganze Zeit hatte sie das Gefühl, in einem Theaterstück mitzuspielen. Diese drückende Schwüle! Diese vielen, vielen Gesichter. Die dumpfe Angst, die in ihrem schmerzenden Kopf auf der Lauer lag...
Und dann plötzlich zuckte ein Blitz über den Himmel, gleich darauf folgte ein krachender Donner. Alle schrien entsetzt auf, als sich in derselben Sekunde der Himmel öffnete und einen wahren Sturzbach zur Erde sandte. Im Nu waren alle durchweicht.
»Ins Haus!« rief John. »Schnell! Lauft alle ins Haus!«
Die meisten ließen alles stehen und liegen und rannten hinein, einige nahmen ihre Gläser mit, ein paar griffen sogar schnell nach ein oder zwei Tellern vom kalten Buffet. Triefend schaukelten die Papierlampions zwischen den Bäumen. Der Swimming-Pool schien plötzlich aus lauter kleinen Fontänen zu bestehen. Drinnen im Haus waren sofort sämtliche Bäder blockiert, weil jeder versuchte, sich mit einem Handtuch einigermaßen trockenzurubbeln. Die Frau eines Washingtoner Abgeordneten erschien sogar plötzlich im Bademantel von Gina. »Ehe ich mich erkälte, tu ich lieber etwas Unkonventionelles«, erklärte sie burschikos. »Wen es stört, der kann ja wegschauen!«
Die Stimmung war empfindlich gestört worden, der heitere Small talk wollte sich nicht so rasch wieder einstellen. Man mußte sich erst neue Plätze, neue Gesprächspartner suchen. Gina nahm unauffällig ein drittes Aspirin. In die Stille hinein fragte Mrs. Brown, Anwältin aus Santa Monica: »Habt ihr von dem Skandal gelesen? Diesem Skandal um Natalie Quint ...«
»Ich habe es nicht nur in der Zeitung gelesen«, rief ein kleiner dicker Mann, von dem Gina im Moment nicht wußte, wo sie ihn einordnen sollte, »ich habe sogar das Drama life am Bildschirm verfolgt. Ziemlich peinlich, muß ich sagen!«
»Ich habe es auch gesehen«, sagte Lucia Drake, Stuntgirl und Fotomodell mit pikanten Beziehungen nach Washington. »Und ich fand Nat Quint sehr mutig. Warum soll sie nicht sagen, wie sie ist? Jeder hat das Recht, zu lieben, wen und wie er will!«
»Aber es ist eine Geschmacklosigkeit, sich im Fernsehen darüber auszulassen.«
»Johnny hat sie darauf angesprochen. Wenn überhaupt, dann war das geschmacklos von ihm. Was sollte sie machen? Dementieren? Vielleicht belastet es sie, immer und überall ihre Liebe verleugnen zu müssen.«
»Ich finde Liebe zwischen Frauen außerordentlich abstoßend«, meinte der kleine, dicke Mann, und Gina dachte unwillkürlich, daß Liebe mit ihm abstoßend sein müsse. »Wenn ich mir das vorstelle... unangenehm. Höchst unangenehm!«
»Viele Männer stellen sich das ganz gerne vor«, sagte nun Mrs. Brown, »sie empfinden es als ästhetisch.«
»Wie soll das überhaupt gehen?«
Lucia Drake
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