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Schattenspiel

Schattenspiel

Titel: Schattenspiel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Charlotte Link
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das ganze Leben ist schön! Die ganze Welt!
    Sie hatte strahlende Laune. In Jeans und einem blauen Hemd
von John, die Sonnenbrille im Haar, machte sie sich auf den Weg. Sie fuhr hinaus in einen der Vororte, ging ein wenig spazieren und kehrte dann in einem Heurigenlokal ein, wo sie Wein trank und Buchteln aß; sie kannte das Gericht nicht, aber es stellte sich heraus, daß es sich um eine köstliche Mehlspeise handelte. Am frühen Nachmittag kehrte sie in die Stadt zurück. Sie hatte vorgehabt, nur ein bißchen zu bummeln und nichts zu kaufen, aber dann kam sie an einer Boutique vorbei, die Abendkleider im Schaufenster ausstellte, und eines davon stach ihr besonders ins Auge. Es war knöchellang und bestand aus einem schwarzen Spitzenrock mit einem moosgrünen Oberteil aus Samt, hatte einen tiefen Rückenausschnitt und leicht gebauschte Ärmel, die zur Hand hin schmal zuliefen und sich eng um die Gelenke schlossen.
    Ich kann es ja mal anprobieren, dachte sie und betrat zögernd den Laden, wahrscheinlich kostet es ein Vermögen, aber es ist wunderschön.
    Es paßte wie angegossen und versetzte sowohl die Verkäuferin als auch zwei anwesende Kundinnen in Entzücken. »Das ist Ihr Kleid, Madame! Ich bestehe darauf, daß Sie es mitnehmen, denn es würde keiner anderen Frau so gut stehen!« Der Preis war gesalzen, aber das Kleid war ihn wert, und so zahlte Gina ohne mit der Wimper zu zucken. Sie wußte, John mochte sie besonders in Grün. Beschwingt verließ sie das Geschäft wieder. Ein warmer Wind, in dem sie den Geruch von Blumen und Heu wahrzunehmen vermeinte, wehte durch die Straßen. Um fünf Uhr betrat sie das Cafe Sacher, nachdem sie das Kleid auf ihr Zimmer gebracht hatte. Gutgelaunt bestellte sie sich einen Kaffee. Sie trank in kleinen Schlucken und schaute dabei hinaus auf die Straße, wo die Passanten in hellen Sommerkleidern vorbeiliefen. Sie war so glücklich wie noch nie nach Gipsys Tod.
     
    John hatte ein empfindsames Ohr dafür, in welchem Ton andere Menschen mit ihm sprachen, und er fragte sich, ob es Einbildung war oder ob sich manche Botschaftsangehörige tatsächlich kühler ihm gegenüber benahmen. Er war natürlich von vielen
herzlich und erfreut begrüßt worden, aber irgendwo war da bei einigen eine seltsame Distanz zu spüren. Schaute man ihn neugierig von der Seite an? Paßte man auf mit dem, was man sagte? Vermied man allzu persönliche Fragen? Und wenn ja, weshalb? Er stand im Begriff, einer der wichtigsten Verbindungsmänner Amerikas zur OPEC zu werden. Er konnte seine Wiener Gespräche nur als außerordentlich erfolgreich betrachten. Eigentlich hätte er erwartet, daß man ihm einen roten Teppich ausrollte, nicht, daß man ihn schräg anschaute.
    Alles Einbildung, sagte er sich. Er schaute auf die Uhr. Es wurde Zeit, daß er sich auf den Weg zum Sacher machte.
    Im Botschaftsgebäude wimmelte es wegen des bevorstehenden Empfangs von noch mehr Polizisten und Sicherheitsbeamten als sonst. Von irgendwoher klangen ein paar Töne Musik, offenbar probte das Orchester. Die letzten Blumenarrangements wurden getroffen. Zwei einsame Herren im Smoking standen in der Gegend herum und schienen sehnsüchtig auf ein Glas Sekt zu warten. Spannung lag in der Luft. John freute sich auf den Abend.
    Er wollte gerade das Gebäude verlassen, als er hörte, wie sein Name gerufen wurde. Hinter ihm stand Oberstleutnant Munroe, Angehöriger des Beraterstabes um den Militärattache. Munroe galt als eingefleischter Republikaner, war vielleicht einer der treuesten Anhänger, die Ronald Reagan hatte, verfügte jedoch für eine politische Karriere über zu wenig Charisma. Er war aufrichtig und loyal, mischte sich aber beständig in die Angelegenheiten anderer. Es gehörte zu seiner Mentalität, immer und überall für Ordnung sorgen zu müssen. Man konnte ihm kaum absprechen, daß er es gut meinte und sein Bestes tat, aber niemand war scharf darauf, allzuviel mit ihm zu tun zu haben.
    So ließ auch John durchblicken, er habe es eilig. »Ja... Oberstleutnant? « fragte er hastig.
    »Kann ich Sie einen Moment sprechen, Mr. Eastley?«
    »Ich muß eigentlich weg. Ich habe um halb sechs eine Verabredung. «
    »Es ist sehr wichtig.«

    John seufzte und ergab sich. Es hieß sowieso, daß Munroe nie lockerließ, wenn er sich einmal festgebissen hatte.
    Die beiden Männer begaben sich in einen kleinen Nebenraum, ein Büro, in dem sich niemand aufhielt und das durch eine Klimaanlage so unterkühlt war, daß John den Eindruck hatte,

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