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Schattenspiel

Schattenspiel

Titel: Schattenspiel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Charlotte Link
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herrliche Kindheit? Ich kann Ihnen nur sagen, wenn Sie Gruselmärchen mögen, dann bekommen Sie jetzt eines geliefert. Ich kann mir zwar nicht vorstellen, daß es irgend jemanden brennend interessiert, aber wenn Sie darauf bestehen, werde ich Ihnen meine unsägliche Geschichte erzählen.
    Wir lebten in einer ausgebrannten Ruine, Mum, Dad, meine Schwester June und ich. Alles war dunkel und kalt...«

Laura
    1
    »Mummie! Mummiiiie!« Der Schrei zerriß die Stille der Nacht. Laura wachte davon auf. Ihr Herz raste, ihr Nachthemd war feucht von Schweiß. Hatte sie selbst geschrien? Sie lauschte in die Dunkelheit, hoffte, die Atemzüge ihrer Schwester June zu hören. Es herrschte Totenstille. Als Lauras Augen sich an die Dunkelheit gewöhnt hatten, konnte sie erkennen, daß Junes Bett leer war. Seit ungefähr einem halben Jahr ging das so. Die Dreizehnjährige kam nur noch selten nach Hause. Laura, zwei Jahre jünger, hatte sie gefragt, wo sie denn hingehe, aber June hatte nur gelacht. »Das verstehst du noch nicht, Baby!«
    June sagte immer »Baby« zu Laura, was die keineswegs als herabsetzend, sondern als liebkosend empfand. June spielte ihre Ersatzmutter. Früher, wenn sie in den dunklen Nächten erwacht war und sich vor ihren eigenen Träumen gefürchtet hatte, war sie aus dem Bett geklettert, auf bloßen Füßen durch das Zimmer gestapft, zu June unter die Decke gekrochen. Hier war es herrlich warm. June hatte eine kerngesunde, robuste Natur, und unter der dünnen Wolldecke, unter der Laura stets erbärmlich fror, schaffte sie es, eine wahre Backofenhitze zu entwickeln. Mit einem Knurren duldete sie es immer, daß Laura sich neben sie legte.
    »Okay, Laura, komm her zu mir. Aber halt still, verstanden?«
    Laura kuschelte sich an sie und schlief friedlich bis zum Morgen.
    Aber die Zeiten waren vorbei. Ohnehin hatte sich June sehr verändert, fand Laura. Sie trug ihr Haar jetzt in kleinen Locken, zwängte sich in ein hautenges, kurzes Lederkleid, hatte eine straßbesetzte Lederjacke um die Schultern hängen und stöckelte auf hohen Absätzen durch die Gegend. Sie malte sich die Lippen
dunkelrot und züchtete sich wahre Krallen von Fingernägeln. Von ihren nächtlichen Ausflügen brachte sie Geld mit, und Dad verlangte, daß sie es vollständig bei ihm ablieferte. Einmal hatte es eine furchtbare Szene gegeben; Dad hatte wieder zuviel getrunken und plötzlich hatte er geschrien, June habe Geld unterschlagen. Er zerrte sie in die Küche, die anderen hörten ihn draußen toben und schreien. June hatte später ein blaues Auge, und Dad schwenkte triumphierend eine Zehn-Dollarnote. »Wollte zehn Dollar an mir vorbeischaffen, das Luder! Zehn Dollar, aber die hab’ ich förmlich gerochen! Jeff Hart legt so schnell keiner rein!«
    Dann hatte er, direkt zwischen Tür und Angel, sein Frühstück erbrochen, und Laura mußte es aufwischen. Sie tat es widerwillig, aber ohne Gegenrede, schließlich wollte sie nicht auch ein Veilchen davontragen.
    In dieser Nacht nun also stand sie alleine mitten in ihrem dunklen Zimmer, geplagt von dem immer wiederkehrenden Alptraum, in eine tiefe, rabenschwarze Schlucht zu fallen, auf deren Grund es von Schlangen, Krokodilen und anderen Reptilien wimmelte. Laura hatte eine panische Angst vor Echsen aller Art. In Chinatown hatte sie als kleines Mädchen einmal einen Schreikrampf bekommen, als sie in einem Geschäft einen Mann beobachtete, der Schnaps aus einer Flasche ausschenkte, in der ein toter Gecko schwamm. Dergleichen galt als Delikatesse.
    Der Traum war diesmal besonders eindringlich gewesen; Laura zitterte noch immer am ganzen Körper. Sie tastete zur Tür, trat in den Gang. Aus der Küche konnte sie lautes Schnarchen vernehmen. Sie spähte hinein. Auf einem Hocker am Tisch saß Dad, hingegossen wie ein Mehlsack. Bartstoppeln bedeckten sein Kinn, die Unterlippe war heruntergefallen, was ihm einen dämlichen Ausdruck verlieh. Seine rechte Hand umfaßte eine leere Bierflasche. Zigarettenqualm hing in der Luft. Laura bekam Angst: Wenn Mum zu Hause war, fand Dad meistens den Weg ins Bett, wenn sie die Nacht über fortblieb, hockte er bis zum frühen Morgen schnarchend am Küchentisch. Also war Mummie heute offensichtlich nicht da. Schnell huschte Laura hinüber
ins Wohnzimmer, das ihren Eltern auch als Schlafzimmer diente; man konnte die durchgesessene, geblümte Couch ausziehen und damit in ein Bett verwandeln. Das Zimmer war leer.
    Mummie pflegte abends durch die Kneipen zu ziehen, und nicht

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