Schattenspiel
zu etwas... festlicheren Anlässen. Bei einem großen Dinner...« Sie verstummte.
»An was haben Sie denn etwa gedacht?«
»Etwas Dunkles vielleicht?«
»Wir hätten ein sehr schönes Kleid in Moosgrün da. Es müßte zu Ihrer Haarfarbe passen. Probieren Sie es einmal an.« Sie dirigierte Mary in eine Kabine und nahm ihr mit spitzen Fingern den Mantel ab. In der Kabine strahlte ein kristallener Leuchter, und es ertönte leise Musik. Mary zog sich aus, aber natürlich zog die Verkäuferin plötzlich den Vorhang zurück, um zu fragen, ob sie helfen könne, gerade, als Mary in ihrer nicht gerade repräsentativen Unterwäsche dastand. Die perfekte Verkäuferin versuchte nicht, ihre Verachtung zu verbergen. »Natürlich brauchen Sie die passenden Schuhe zu diesem Kleid«, sagte sie eilig. Sie zauberte ein paar hochhackige Pumps, bezogen mit moosgrünem Samt, hervor. »Und die richtigen Strümpfe.« Hauchfein waren sie, mit feinen Straßapplikationen an den Fesseln. »Damit wären Sie richtig angezogen.«
Das Kleid saß wie angegossen und betonte Marys zarte Figur. Und die Schuhe... nie hatte sie etwas Eleganteres besessen.
Nun endlich kam Mary auf die Idee zu fragen, was das alles kostete, und der Preis, den die Verkäuferin nannte, verschlug ihr den Atem. Wenn sie das bezahlte, war ihr ganzes Geld weg, und sie brauchte dringend noch einen Mantel und Winterstiefel. In New York sollte es doch oft so heftig schneien... Aber wenn sie jetzt sagte, daß sie nicht genügend Geld hatte, war sie endgültig unten durch, und sie konnte ohnehin schon den lauernden Blick spüren, mit dem die andere sie ansah. Sie konnte es nicht, nein, sie konnte sich nicht noch mehr erniedrigen. Als sie bezahlte, hatte sie Tränen in den Augen, und als sie mit einer wunderschönen Tüte am Arm das Geschäft verließ, verschwamm bereits die gegenüberliegende Häuserzeile. Sie haßte das Kleid, die Schuhe. Sie haßte die Reise zu David, denn dorthin gehörte sie
nicht. Aber sie wußte, sie würde verrückt werden, wenn sie noch lange in derselben Wohnung bliebe. Sie wankte in das nächste Cafe, ließ sich auf einen Stuhl fallen und bestellte eine Tasse Tee. Etwas muß anders werden, dachte sie verzweifelt. Etwas muß ganz dringend anders werden.
»Ist denn etwas anders geworden?« fragte Kelly sanft.
Mary schaute ihn ruhig an. »Ich glaube schon«, sagte sie gelassen. Der Klang in ihrer Stimme ließ alle aufhorchen. Steve drehte sich zu ihr um. Sekundenlang sahen sie einander an.
»Fassen wir zusammen«, sagte der Inspektor. »Steve Marlowe kam in der Absicht, David Bellino um Geld zu bitten. Er war entschlossen, sich eine Art Schadenersatz für die Jahre im Gefängnis zu holen. Mary Gordon flog nach New York, weil sich ihr zum erstenmal seit vielen Jahren die Chance bot, ihrem Mann und der ganzen Trostlosigkeit ihres Daseins zu entfliehen. Sie fürchtete sich vor dem reichen David Bellino, vor all dem Glanz, in dem er lebte, aber ihre Situation war so unerträglich geworden, daß sie alles getan hätte, um sich für ein paar Tage zu befreien.
Miss Natalie Quint weiß bis heute nicht, weshalb sie einwilligte, den ihr verhaßten David Bellino wiederzusehen. Etwas an der Einladung reizte ihre Neugier, die typische Neugier vielleicht einer Journalistin. Dabeisein ist alles. Wie man sieht, hat es sich gelohnt.«
»Ich weiß nicht«, sagte Natalie, »es ist ein Unterschied, ob man einen Mord mit der Distanz einer Journalistin erlebt oder ob man plötzlich als eine der Verdächtigen dasitzt. Als Journalistin kann ich gehen, wann ich möchte.« Sie sah den Inspektor feindselig an, dann sagte sie unvermittelt: »Sie haben Gina vergessen! «
»Gina hat ihr Motiv noch nicht genannt«, antwortete Kelly, »aber es angedeutet. Ich nehme an, es war dasselbe wie bei Steve Marlowe — Geld.«
»Erraten.« Mit gekreuzten Beinen lehnte Gina an der Bar. »Uns steht das Wasser bis zum Hals. Haben Sie von Charles’ riesengroßer
Pleite gehört? Vor anderthalb Jahren investierte er sein ganzes Geld — dazu leider auch eine Menge Kapital, das ihm nicht gehörte — in ein entsetzlich schlechtes amerikanisches Musical. Ein Freund von ihm hatte es komponiert, und der gute, naive Charles glaubte diesem Freund, der behauptete, es sei ungefähr das Beste, was es je gegeben hätte, und Webber könne gleich seinen Hut nehmen. Nun, tatsächlich wurde es dann ein Desaster. Charles stand mit gigantischen Schulden da — besser gesagt: Er schleppt sie noch heute mit
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