Schattenspiel
erkannt habe, was für eine Hexe du bist! Du hast meine Gutmütigkeit ausgenutzt, meinen Wunsch, dir ein gutes und schönes Leben zu ermöglichen. Du und dein sauberer Freund – ihr verdient einander!« Er warf Ken einen höhnischen Blick zu. »Was tut der überhaupt hier? Was macht dieser dreckige Fixer in meiner Wohnung?«
»David! Hör auf!«
»Ich höre nicht auf, verstanden? Du wirst mir hier nicht noch vorschreiben, was ich sagen darf und was nicht. Und du wirst mir nicht das asoziale Pack ins Haus schleppen, mit dem du deine Jugend verbracht hast. Entferne dieses minderwertige, stinkende Etwas, das hier...«
»Sir, es reicht!« sagte Ken. Seine Sprache klang schleppend, und er hatte deutlich Mühe, sich zu konzentrieren, aber er tat einen Schritt zur Seite, und plötzlich hielt er Davids Pistole in der Hand. Der Lauf schwankte wie ein Grashalm im Wind. »Ich mag nicht, wie Sie reden!«
»Ken, Leg sofort die Pistole hin!« sagte Laura scharf.
»Ich warne Sie. Das Ding ist geladen!« sagte David. »Laura, mach ihm klar, was passiert, wenn er schießt! Er kommt nicht mehr hier ’raus! Man wird ihn festnehmen. Man...« Schweiß glänzte auf seiner Stirn, seiner Nase. Ein Mann, der seinem Alptraum gegenübersteht, einer geladenen Waffe...Die Angst war Wirklichkeit geworden. Das Grauen, das ihn begleitete, seit er die Drohbriefe bekam, hatte plötzlich ein Gesicht. Ein eingefallenes, krankes, vom Tode gezeichnetes Gesicht. Tod...wenn es sein Schicksal war, jetzt zu sterben, würde er diesmal nicht weglaufen, nicht ausweichen können.
Mit den Fingern der linken Hand griff er an den goldenen Ring, den er am rechten kleinen Finger trug. Er griff wie hilfesuchend danach, so als wolle er Andreas beschwören, ihm jetzt beizustehen, und es schien, als begreife er in diesem Moment zum erstenmal, was Andreas ihm bedeutet hatte – er hatte den alten Mann gehaßt, geliebt, verehrt, verwünscht, hatte sich auflehnen wollen und hatte doch verharrt. Und nun ging ihm auf, wie geborgen er sich gefühlt hatte in seiner Liebe und in der seiner
Mutter, wie beschützt und behütet er gewesen war von diesen beiden Menschen, wie ruhig er hätte sein können in diesem weichen, warmen Nest, das man ihm bereitet hatte.
Mehr aus einem Reflex heraus als aus dem Wunsch, sich zu verteidigen, machte er einen Satz auf Ken zu und versuchte, ihm die Pistole zu entreißen. Ken wollte ausweichen, stolperte dabei, schlug mit dem Hinterkopf gegen ein Regal und ging zu Boden. Laura war sofort neben ihm, entwand ihm die Waffe, und als sie David auf sich zukommen sah, schoß sie; sie schoß, ohne zu überlegen, schoß instinktiv, aber auch aus einer heißen, wilden Wut.
Sie sah, wie David sie anstarrte, fassungslos, er glaubte nicht, was passierte, er hatte nicht im Traum daran gedacht, sie könnte es sein, die seinem Leben ein Ende setzte, und während sich der rote Fleck auf seinem Hemd schneller und schneller ausbreitete und David zusammengekrümmt nach vorne in die Knie sank, dachte Laura: Du hast mich immer unterschätzt, mein Lieber, und das war dein Fehler!
Dumpf krachte Davids Kopf auf den Boden, und Laura merkte nicht, wie ihr die Tränen über das Gesicht liefen, und sie hörte nicht, daß Ken schrie...
»Sie waren es also«, sagte Steve, »Sie haben David erschossen.« Laura saß zusammengekrümmt in ihrem Sessel. Ihre Wangen glänzten naß.
»Wie bitte?« fragte sie.
Gina ging auf sie zu und legte den Arm um sie. »Nicht weinen, Laura. Sie haben nicht kaltblütig gemordet. Sie wollten Ken schützen, und es ging alles viel zu schnell.«
Der Kerzenschein huschte flackernd über die Gesichter der anderen. Die Mienen spiegelten Ernst und Betroffenheit.
»Ich weiß nicht«, sagte Laura, »ob es ein Reflex war. Ich denke die ganze Zeit darüber nach... warum habe ich ihn erschossen? Vielleicht wirklich, weil ich vorher das Gespräch zwischen ihm und Gina belauscht habe. Vielleicht aus Eifersucht... Oder aus Angst, ich würde in mein altes Leben zurückkehren müssen... eines Tages so enden wie meine Mutter...«
Sie schwieg, und keiner sagte etwas. Es war keine Feindseligkeit im Raum, aber Erschrecken und Ratlosigkeit. Die zarte Laura mit den langen Haaren und den großen Augen hatte David erschossen. Irgendwie konnte es keiner so recht fassen.
Laura sah von einem zum anderen, und sie dachte, ihr werdet es schon noch begreifen. Sie fühlte sich elend, ausgepumpt und erschöpft. Und sie wußte, daß sie sich in Gefahr befand.
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