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Schattenspiel

Schattenspiel

Titel: Schattenspiel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Charlotte Link
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um, und sein Gesicht war kalkweiß, als er sagte: »Sie werden wissen wollen, was bei der Sache für Sie herausspringt, Mr. Gordon, nicht wahr?«
    »Das wüßte ich zu gern«, erwiderte Peter frech. Ihm machte die Angelegenheit Spaß. Zum einen fühlte er sich endlich einmal wichtig genommen – was äußerst selten vorkam – und zum anderen fand er diesen Michael Brown herrlich komisch. Ein Puritaner erster Ordnung, er hätte direkt Oliver Cromwells Reihen oder der Mayflower entstiegen sein können. Er müßte nur noch einen langen, schwarzen Mantel tragen, eine Bibel in der Hand halten und ein flammendes Kreuz auf dem Kopf balancieren. Es war schon ein Witz, jemandem wie ihm im Jahre 1978 mitten in England zu begegnen. Ein echter Witz. Er grinste vergnügt vor sich hin.
    »Da Sie, nach allem, was passiert ist, nicht mit meiner Tochter hier leben können, werden Sie woanders eine Bleibe suchen müssen«, sagte Michael. »Ich nehme an, Sie gehen nach London zurück. Ich werde tun, was ich kann, damit Sie dort eine Arbeit finden.«
    »Hm«, machte Peter. London war schon ganz gut, aber seine Miene ließ keinen Zweifel daran, daß ihm das als Preis noch nicht ausreichte.
    Michael begriff. »Ich verdiene als Lehrer nicht viel, aber glücklicherweise sind meine Ansprüche gering. Ich biete Ihnen für die
nächsten fünf Jahre monatlich 200 Pfund an. Was ein nicht ganz unansehnlicher Nebenverdienst für Sie wäre.«
    Peter überlegte blitzschnell, dann sagte er: »Für die nächsten zehn Jahre, und wir sind im Geschäft!«
    Der Mann ist Unkraut! Gift! Für den Bruchteil einer Sekunde kamen Michael Zweifel, ob es richtig gewesen war, ihn für Mary auszusuchen, doch in seiner ganzen Selbstgerechtigkeit schob er sie sofort wieder von sich.
    »Gut«, sagte er, »für die nächsten zehn Jahre. Wie Sie möchten, Mr. Gordon!«
    Peter stand auf. Er fragte sich, was für Gesichter seine Kumpels machen würden, wenn er ihnen diese Story erzählte. Blieb aber noch ein Punkt. »Glauben Sie, Ihre Tochter macht das mit?« fragte er.
    Michael sah noch einmal hinaus. Am westlichen Horizont färbte sich der Winterhimmel rot, schwarz hoben sich die Bäume vor diesem Hintergrund ab. Das Licht warf einen rötlichen Schein auch auf Mary. Sie hielt beide Hände in die Taschen gestemmt, stand ganz still. »Mary weiß genau wie ich, daß alles kommt, wie es kommen soll. Und sie weiß, daß es keinen anderen Weg für sie gibt.«
    5
    Sie heirateten im Januar, in einer kleinen Kirche nahe Saint Clare, und natürlich gab es keine Gäste, keine Feier. Michael Brown blieb der Trauung fern. Natalie und Steve fungierten als Trauzeugen, beide verwirrt, ungläubig, und schließlich auch zornig, weil sich die Braut ihren Entschluß nicht hatte ausreden lassen. Mary hatte einen etwas weiblicheren Körper bekommen, aber ansonsten war von ihrer Schwangerschaft nichts zu sehen. Sie hätte sich selbst kein Kleid für diesen Tag kaufen können, aber Nat hatte ihr Geld geliehen und sich auch nicht abweisen lassen. »Du wirst ein schönes Kleid tragen, Mary, das gehört sich einfach
so. Geh nicht so kleinlich und geringschätzig mit dir um, sonst tun das die anderen Menschen auch.«
    Mary hatte schließlich ein dunkelblaues Kostüm mit passendem Hut gekauft und sah überraschend hübsch und elegant aus. Peter kam im dunklen Anzug und machte ebenfalls eine gute Figur; trotzdem paßten die beiden so wenig zusammen, daß es selbst den Pfarrer irritierte. Als er ihnen Glück für den gemeinsamen Lebensweg wünschte, sah er nicht so aus, als glaubte er daran.
    Es waren rotgeklinkerte oder graue Häuser, aus denen sich die Wohnblocks des Londoner Ostens zusammensetzten, rußgeschwärzt vom Rauch aus den Fabrikschornsteinen, eines dicht an das andere gebaut. Enge, schmutzige Höfe dazwischen, auf denen überquellende Mülltonnen standen, verdreckte Planen herumflogen, Autoreifen aufeinandergestapelt lagen und ärmlich gekleidete Kinder spielten. Ölige Pfützen standen in den Straßen. Es gab keinen Baum und keinen Strauch, nur vor ein paar Fenstern waren Blumenkästen aus Plastik angebracht, aber natürlich wuchs jetzt im Januar auch darin nichts. Irgendwo ratterte ein Zug vorbei.
    Peter schloß die Wohnungstür auf. Sechster Stock, vierte Tür rechts, in einem häßlichen grauen Kasten. »Hier sind wir. Tritt ein!«
    Gleich gegenüber dem Eingang hing ein Spiegel, so daß Mary sich sehen konnte, wie sie in ihrem schönen Kostüm zwischen großgeblümten Tapeten und

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