Schattenspiel
womöglich keine Lust haben, mit einer Frau ins Bett zu gehen,
die schwanger war. Nun begriff sie, daß ihn das offenbar keineswegs störte.
»Es ist hellichter Tag«, meinte sie, »laß uns warten bis ...«
»Also, ich hätte nicht gedacht, daß du prüde bist – du kannst es auch nicht immer gewesen sein, stimmt’s? Oder hast du dich auch so angestellt, als du mit dem Kerl zusammen warst, der dir das Kind gemacht hat?«
Mary schwieg verletzt. Peter packte sie am Handgelenk und zog sie eine Spur zu grob über den Gang ins Schlafzimmer. Er hatte bereits die Jalousie heruntergelassen und den Kassettenrecorder eingeschaltet. Irgendein sentimentales Liebeslied erklang, etwas zittrig allerdings, da sich die Batterien des Gerätes dem Ende zuneigten. Die Bettdecke war zurückgeschlagen.
»Los, Mary, zieh dich aus! Ich habe nicht geheiratet, um von nun an als Mönch zu leben!«
Du kannst ja gerne zu einer anderen Frau gehen, dachte sie, aber laß mich in Ruhe!
Zögernd schlüpfte sie aus ihrer Jacke. Peter legte sich ins Bett, die Hände unter dem Kopf verschränkt und betrachtete sie angelegentlich. »Weiter, Mary!«
Solange sie lebte, hatte sie sich nicht so gedemütigt gefühlt wie in diesen Augenblicken. Sie wußte nicht, daß es weniger darum ging, daß sie sich hier vor seinen Augen auszog, als darum, daß sie es auf seinen Befehl hin tat. Er hätte ihr genausogut sagen können, sie solle Rad schlagen oder Kopfstand machen. Es demütigte sie, daß sie etwas tat, was sie eigentlich unter keinen Umständen tun wollte. Als sie sich neben Peter legte, nur noch mit Slip und BH bekleidet, hatte sie kalte, schweißfeuchte Hände und verspürte würgende Übelkeit. Wieder raste draußen ein Zug vorüber, wieder klirrten leise die Fensterscheiben. Aus der Küche roch es penetrant nach angebranntem Blumenkohl.
War eine Stunde vergangen? Zwei? Oder nur Minuten? Sie hatte keine Ahnung; es hätten auch Jahre sein können. Mit langsamen, müden Schritten ging sie in die Küche, betrachtete das Essen — die welken Salatblätter, die traurig in der Sahnesoße herumschwammen,
die aufgeplatzten Würstchen, den schwarzen Blumenkohl. Sie konnte Peter hören, der sich gerade fröhlich singend unter die Dusche stellte. Seine Laune war sprunghaft gestiegen.
»Wenn das Essen verbrannt ist«, hatte er gesagt, »dann mach doch einfach ein paar Brote. Müßte noch Käse da sein. Und ein paar Scheiben Wurst.« Dann hatte er sie aufmunternd in die Wange gekniffen. »War nett mit dir, Mary. Ich freue mich schon auf heute nacht!«
Mary hatte den alten blauen Morgenmantel von ihrer Mutter angezogen, in dem noch ganz zart der Duft ihres Kölnisch Wassers hing. Vielleicht war er auch längst verflogen, und sie bildete sich nur ein, ihn zu riechen. Möglicherweise deshalb, weil sie sich ihrer toten Mutter auf einmal so nah fühlte wie nie sonst in den vergangenen Jahren. Das blasse, von Krankheit und Kummer zerquälte Gesicht tauchte vor ihren Augen auf. Dad war es gewesen, der sie so kaputtgemacht hatte. Er hatte sie schikaniert, Jahr um Jahr, mit seinen Launen, seiner Bigotterie, seinen Wutausbrüchen, Verboten, Befehlen. Sie hatte stillgehalten und war langsam vor sich hingewelkt, und irgendwann war sie gestorben.
Und mir wird es genauso gehen, dachte Mary.
Sie entdeckte, daß die Küche eine Tür hatte, die ins Freie führte, und als sie sie öffnete, stand sie auf einem handtuchschmalen, eisenvergitterten Balkon. Zwischen den Steinen der Hauswand wuchs Moos. Aus den Küchenfenstern ringsum roch es nach Zwiebeln und Fisch, und über die Kisten, die sich im Hof stapelten, krabbelten ein paar Kinder. Das Rad hatte sich gedreht und war wieder in seiner alten Position angelangt. Mary stand abermals auf einem kleinen Balkon hoch über schmuddeligen Hinterhöfen, und bald würde wieder ein Kind hier das Moos aus der Wand bohren und seine Puppen auf dem Geländer reiten lassen. Zum ersten Mal, seit ihr Leben durch Leonard Barry in Unordnung geraten war, überfiel Mary eine heftige, gnadenlose Wut; kurz nur, aber dafür um so wilder. Sie erinnerte sich des Abends im »Paradise lost«, an den schrecklichen Moment, als
die Polizei die Bar stürmte und sie, Mary, plötzlich feststellte, daß David verschwunden war. Sie hörte wieder Leonards verwunderte Stimme: »Es scheint Ihrem Freund völlig gleichgültig zu sein, was aus Ihnen wird!«
Es war ihm auch gleichgültig gewesen. Er hatte versprochen, nicht von ihrer Seite zu weichen, und er
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