Schattenspiel
Kitschpostern von Sonnenuntergängen stand; eine fremde Blume in einer billigen, vergammelten Umgebung. Sie wußte, daß sie nicht lange fremd bleiben würde. Das Häßliche, Graue, Kalte würde sie aufsaugen und zu einem Teil seiner selbst machen. Sie spürte, daß keine Kraft in ihr war, sich dagegen zu behaupten.
Sie nahm ihren Hut vom Kopf und strich über die zerdrückten Locken. Dann folgte sie Peter in die Küche, die so eng war, daß sich zwei Leute nur zur Not dort aufhalten konnten. Der Kühlschrank summte; da Peter an den Wochenenden meist hier gewesen war, hatte er alles in Betrieb gehalten. Gerade öffnete er
eine Flasche Bier, setzte sie an den Mund und trank ein paar tiefe Schlucke. Er streckte sie Mary hin. »Möchtest du auch?«
Sie schüttelte den Kopf, verließ die Küche und ging ins Wohnzimmer. Die Geschmacklosigkeit, mit der es eingerichtet war, raubte ihr fast den Atem. Ein grünlicher, verfilzter Teppichboden, rot-blau gestreifte Tapeten, ein schwarzes Ledersofa, davor ein flacher, hölzerner Tisch, zwei Küchenstühle. Ein großer Fernseher stand gefährlich wackelig auf einem kleinen dreibeinigen Hocker, und es schien nur noch eine Frage der Zeit, wann er das Übergewicht bekommen und hinunterstürzen würde. Vor den Fenstern hingen gelbe Vorhänge mit schwarzen Dreiecken darauf. Es roch muffig. Mary fröstelte. Sie trat ans Fenster und blickte auf eine Schwebebrücke, die auf gleicher Höhe mit dem Fenster in etwa fünf Metern Abstand vorbeiführte. Mit Donnergetöse kam gerade ein Zug angebraust und ratterte vorbei. Die Scheiben klirrten. Mary hielt sich die Ohren zu.
O Gott, wo bin ich hier hingeraten? Wo bin ich hier hingeraten?
»Ich habe Hunger«, sagte Peter von der Tür her.
Sie fuhr herum. »Hunger?«
»Ja, Hunger«, wiederholte er ungeduldig. »Ist es so ungewöhnlich, wenn ein Mann dann und wann Hunger hat?«
»Natürlich nicht.« Etwas unschlüssig ging sie in die Küche hinüber und sah sich nach Vorräten um. Ein Becher saure Sahne, ein etwas welker Kopfsalat, zwei Tomaten, Blumenkohl und ein Glas Würstchen. Reichlich Bier und eine Dose Ananas.
»Ich könnte einen gemischten Salat machen. Und dann Blumenkohl mit Würstchen. Zum Nachtisch Ananas. Das ist doch gut, oder?« Sie bemühte sich um einen munteren Ton, wünschte sich verzweifelt, Peter möge etwas Nettes sagen oder lächeln. Sie wußte, es konnte nicht mehr lange dauern und sie würde anfangen zu weinen.
Peter verzog das Gesicht. »Toll!« knurrte er. »Ein richtiges Festessen! So hab’ ich mir meine Hochzeit immer vorgestellt!«
»Wir könnten auch einkaufen gehen. Vielleicht... vielleicht auch eine kleine Flasche Sekt, zur Feier des Tages ...«
»Sekt! Madame möchten Sekt! Sonst noch einen Wunsch etwa?«
»Ich dachte nur ...«
»Du dachtest! Dann erzähle ich dir jetzt mal, wie die Dinge liegen! Du hast einen Arbeitslosen geheiratet, und das bedeutet, daß dir magere Zeiten bevorstehen. Wir müssen uns einschränken. Mag sein, daß sie in den feinen Kreisen, aus denen deine Natalie oder dieser Steve stammen, Sekt trinken, wenn sie heiraten, aber wir gehören einer anderen Schicht an, und je eher du das begreifst, desto besser. Wir sind ganz unten, Mary, verstehst du?«
Sie antwortete nicht. Zornig wiederholte er: »Ob du mich verstanden hast?«
»Ja«, flüsterte sie mit erstickter Stimme. Peter drehte sich um und verschwand. Mit zitternden Händen suchte Mary Töpfe und Schüsseln zusammen, wusch den Salat, schnitt die Tomaten in Viertel und legte die Würstchen in heißes Wasser. Gerade stellte sie Teller und Gläser auf ein Tablett, als Peter wieder in der Tür erschien. Er hatte Jackett und Hemd ausgezogen und trug nur noch seine Hose. Mary erschrak vor dem muskulösen, dichtbehaarten Oberkörper. Er erinnerte sie an einen ebenso starken wie gefährlichen Gorilla.
So heiter wie möglich sagte sie: »Deckst du schon mal den Tisch, Peter? Wir können gleich essen!«
Er trat näher an sie heran, nahm ihr das Geschirr aus der Hand, stellte es auf den Tisch und legte beide Arme um sie: »Wer denkt denn jetzt an Essen! Wir sind gewissermaßen in den Flitterwochen, und da hat man ganz andere Dinge im Sinn!«
»Es ist gerade alles warm...«
Er grinste. »Richtig. Vor allem ich! Komm, Schätzchen, wir suchen uns einen gemütlicheren Ort. Zum Beispiel das Schlafzimmer!«
Vor diesem Moment hatte ihr die ganze Zeit über gegraut. Sie hatte sich schließlich an der Hoffnung festgeklammert, er werde
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