Schattenspiel
ermordet worden, fremde Männer liefen im Haus herum, einer von ihnen hatte versucht sie festzuhalten, und Gott mochte wissen, was er mit ihr getan hätte, wenn sie nicht rechtzeitig ins Bad gelangt wäre. Die Fliesen, auf denen sie lag, fühlten sich kalt und feucht an. Natalie raffte sich schwerfällig auf, zog sich am Türgriff in die Höhe und geriet dabei an den Lichtschalter. Es wurde hell. Panik erfaßte sie, als sie merkte, daß irgend etwas sie festhielt, aber dann wurde ihr klar, daß sich bloß der Gürtel ihres Bademantels in der Tür verklemmt hatte. Sie zerrte ihn aus den Schlaufen, ließ ihn fallen und wankte zur gegenüberliegenden Wand. Im Spiegel über dem Wasserbecken konnte sie ihr totenblasses Gesicht erkennen. Zwei weit aufgerissene Augen starrten sie entsetzt an.
»O Gott, es ist ein Alptraum«, jammerte sie leise. »Es kann ja nicht wahr sein. Lieber Gott, es ist nicht wahr.«
Sie spritzte ein wenig Wasser in ihr Gesicht, so als glaubte sie, sie werde davon erwachen. Es konnte nicht Wirklichkeit sein, daß sie hier mitten in der Nacht in einem Badezimmer stand, die Tür hinter sich fest verriegelt, und im Haus waren schwarzgekleidete Männer, von denen sie nicht wußte, was sie wollten, aber sie hatten bereits einen Menschen ermordet und wahrscheinlich würden sie nicht davor zurückschrecken, weitere umzubringen.
Sie sah sich im Bad um. Es gab ein Fenster, aber sie befand sich im ersten Stock, und wenn sie sich beim Sprung in den Garten den Fuß verstauchte, würde sie sich nicht vom Fleck rühren können und wäre eine leichte Beute. Das Haus stand so weit abseits, daß sie nicht darauf hoffen konnte, durch Hilferufe den nächsten Nachbarn zu alarmieren. Sie kletterte auf den Rand der Badewanne und spähte zum Fenster hinaus. Zu ihrer Überraschung entdeckte sie, daß der Balkon, der sich auf der Rückseite des Hauses befand, auch unter diesem Fenster verlief. Mit etwas Geschicklichkeit könnte sie ihn erreichen. Genau in diesem Moment fiel ein Schuß. Natalie wäre fast vom Badewannenrand gerutscht, sie hielt sich krampfhaft am Fenstergriff fest. Sie lauschte in die Stille, die auf den Schuß folgte, und auf einmal dachte sie: David! Sie preßte die Hand auf den Mund, um nicht laut zu schreien. Sie hatten David erschossen, sie war ganz sicher, eben gerade hatten sie David erschossen.
Geduckt schlich sie sich über den Balkon. Jeder Muskel in ihrem Körper war angespannt, jede Faser lauschte und lauerte. Vielleicht war es ein Fehler gewesen, das sichere Bad zu verlassen, aber sie hatte das Gefühl gehabt, in einer Falle zu sitzen, aus der es kein Entkommen gab, wenn es erst jemandem gelang, die Tür zu durchbrechen. Sie mußte fort, zum Meer hinunter vielleicht, oder in die Dünen. Sie wußte bloß nicht, wie sie von diesem verdammten Balkon hinunterkommen sollte. Sie bog um die Ecke – der Balkon erstreckte sich ja über zwei Seiten des Hauses, die Süd- wie die Westseite – und zuckte zurück. Ein breiter Lichtstrahl fiel aus einem Fenster hinaus in die Nacht.
Im ersten Moment wäre Natalie am liebsten umgekehrt, doch dann riß sie sich zusammen und überlegte. Sie hätte sich wie ein kleines Kind in eine dunkle Ecke kauern und hilflos weinen mögen, aber unvermittelt fiel ihr etwas ein, was Gina immer gesagt hatte: »Du mußt nur auf die Dinge zugehen, vor denen du Angst hast. Das ist wie mit den Haien. Sie kehren um, wenn du ihnen entgegenschwimmst.«
Sie trat einen Schritt nach vorne und spähte durch das erleuchtete
Fenster. Was sie sah, ließ ihr den Schweiß am ganzen Körper ausbrechen, sie würgte und schmeckte bittere Galle im Mund.
Sie vergewaltigten Maxine.
Es handelte sich offenbar um Maxines und Duncans Schlafzimmer, denn der ganze Raum war nahezu ausgefüllt von einem gewaltigen, breiten Doppelbett. Die Laken waren zerwühlt, die Decke hinuntergerutscht, ein Stuhl, über dem offenbar ein Stapel Kleider gelegen hatte, umgefallen. Maxine lag auf dem Rücken auf dem Bett, das Nachthemd über die Taille hinaufgeschoben. Einer der maskierten Männer kniete auf dem Bett und hielt Maxines Kopf wie in einem Schraubstock zwischen seinen Beinen. Er hatte ein Messer in der Hand, das an Maxines Kehle lag. Ein anderer hockte auf Maxines Leib, er bewegte sich unbeherrscht und brutal. Maxine rührte sich nicht, sie gab auch nicht den geringsten Laut von sich. Sie lag völlig starr, mit weit aufgerissenen Augen. Sekundenlang fragte sich Natalie, ob man hier eine Tote
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