Schattenstürmer
dass du Hunger hast, das darf ich mir anhören, ja?!«, blaffte ich zurück.
»Wir könnten losziehen«, sagte Bass in ganz anderem Ton.
»Wohin?« Ich setzte mich auf.
»Beim Rotzigen Kra spielt jemand Würfel …«
»Du bist im Stinkenden Fisch gewesen?«, fragte ich fassungslos.
In die Spielhölle des Rotzigen Kra kamen wir normalerweise nicht rein. Kra konnte auf Kinder, die sich als Taschendiebe durchschlugen, gut verzichten. Wir vergraulten ihm bloß die Kundschaft.
»Genau!«, antwortete Bass.
Bass hieß nicht umsonst Bass der Schleicher. Er kam überall rein. Eine andere Sache war es, dass mein Freund dabei häufig genug eines auf die Finger bekam.
»Was ist jetzt mit diesem Mann?«
»Der hat Kra beim Würfeln um drei Goldstücke erleichtert!«
Ich stieß einen Pfiff aus. Drei Goldstücke! Bisher hatte ich erst einmal jemandem eine Goldmünze aus der Tasche gefingert. Von der hatten Bass und ich zwei Monate in Saus und Braus gelebt! Und der Kerl hatte gleich drei!
»Glaubst du, dass du dir die Talerchen bei ihm leihen kannst?«, fragte ich Bass.
»Ich nicht, aber du schon!«, antwortete dieser.
»Klar«, knurrte ich, »und wenn’s schiefgeht, dann kriegen sie mich ran, nicht dich!«
»Keine Bange!«, beruhigte mich Bass. »Der Kerl sieht absolut dämlich aus. Wenn was ist, greife ich ein. Wir halten doch zusammen!«
Wir halten doch zusammen! In den zwei Jahren, die wir uns jetzt kannten, hatten wir in den Armenvierteln der Vorstadt vieles gemeinsam durchgestanden. Wir hatten gute und schlechte Tage erlebt (aber mehr schlechte).
Bass konnte anderen Leuten längst nicht so gut in die Taschen fingern wie ich. Da er kein Talent zum Stibitzen von Beuteln hatte, ruhte diese Last allein auf meinen Schultern. Dafür besaß Bass andere Vorteile: Mit seinem Gequatsche hätte er selbst dem Unaussprechlichen etwas aus den Rippen geleiert. Er führte jeden hinters Licht, betrog beim Würfel- oder Kartenspiel oder entdeckte für mich diejenigen, deren Taschen von Münzen überquollen.
»Du hast gut reden.« Noch wollte ich nicht nachgeben.
»Immer musst du mit dem Schlimmsten rechnen! Aber wie oft habe ich dir schon fette Beute vor die Finger gebracht – und es hat geklappt?«
»Schon gut«, erwiderte ich seufzend. »Dann zeig mir deinen Goldonkel mal!«
Wir hatten noch einen Silberling und fünf Kupferlinge. Ginge es nicht um drei Goldstücke, ich würde meinen Hals nie riskieren. Aber für so viel Geld lohnte es sich schon, den Hintern von der Matratze zu heben und sich in die Kälte hinauszuwagen.
Wir stahlen uns aus der alten, windschiefen Bretterbude, die rund zwanzig Seelen Unterkunft bot. Hier lebten Vagabunden wie wir.
Es war Anfang Frühling, noch türmte sich Schnee in den Straßen, und nachts war es genauso kalt wie im Januar, wenn die vielen Menschen, die kein Dach über dem Kopf hatten, gnadenlos im Rinnstein erfroren. Doch trotz der Kälte, des unfreundlichen grauen Himmels und der vielen Schneewehen lag der Frühling schon in der Luft. Da war dieser kaum zu bemerkende Geruch der sprießenden Blätter, der sprudelnden Bäche und des Schmutzes! Genau, des Schmutzes! Denn jedes Jahr tauchte er nach dem Winter wie aus dem Nichts wieder in der Vorstadt Awendums auf. Aber was zählte der schon! Hauptsache, es wurde wieder warm und ich dieses verdammte und völlig zerschlissene Hundefell endlich los, das ich einem besoffenen Stallknecht im November letzten Jahres geklaut hatte. Das Fell hatte mich zwar den ganzen Winter über gewärmt, aber leider war ich doch nicht so beweglich und schnell damit. Ein paarmal war mich das teuer zu stehen gekommen. Erst diese Woche wäre ich beinahe der Wache in die Hände gefallen, weil ich mich in dem Fetzen verfangen hatte.
Der Stinkende Fisch , diese heruntergekommene Kaschemme, lag in der Vorstadt, am Platz der Sauerpflaumen. Kein normaler Mensch aus der Stadt würde in den Fisch gehen, um dort etwas zu essen – der saure Wein und die Unmengen von Wanzen hielten jeden anständigen Menschen fern.
Wir blieben auf der anderen Straßenseite stehen, unmittelbar gegenüber der Eingangstür.
»Bist du sicher, dass dein Mann da noch drin ist? Was hat er in einem solchen Rattennest bloß noch verloren – wenn er schon drei Goldmünzen in seinem Besitz hat?«, fragte ich Bass.
»Er war da drin und hatte zwei Kannen Wein vor sich stehen«, antwortete Bass. »Ich glaube nicht, dass er die in der Zwischenzeit ausgesoffen hat.«
»Was glaubst du denn, wie
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