Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Schattensturm

Schattensturm

Titel: Schattensturm Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Saumweber
Vom Netzwerk:
sie dich gerne auslassen. Dein Name spukt in ihren Köpfen und beschämt sie.«
    Aouregan ließ sich zurück gegen die Lehne ihres Stuhls sinken und überlegte eine lange Zeit. Derrien wandte sich zum Eingang, wo er mit grimmiger Miene nach draußen starrte. Er musste mit der Spinne sprechen, unbedingt, und dann musste er nach Kêr Bagbeg. Er dachte nicht
nach Hause
, weil er in der Stadt nicht sein Zuhause sah, obwohl er dort geboren und aufgewachsen war. Sein Zuhause waren die Wälder und Berge des Niemandslandes, die er seit Jahrzehnten mit seinen Waldläufern nach den Nain durchkämmte.
    »Was ist, wenn Nerin seine Verletzung nicht übersteht?«, fragte Aouregan schließlich.
    »Dann bist du Häuptling«, erwiderte Derrien, ohne sich umzudrehen.
    Wieder schloss sich eine lange Pause an. Schließlich räusperte sich die Druidin umständlich und murmelte: »Ich werde die Aufgabe übernehmen.«
    »Gut.« Derrien nickte. »Bring unser Volk nach Hause und rette, was noch zu retten ist. Ich werde Cintorix darüber informieren. Er wird es nicht wagen, mir zu verbieten, einen Stellvertreter zu benennen.« Damit stand er auf und ging nach draußen.
    Als er dort die Packtaschen seines Pferdes liegen sah, fiel ihm das Buch wieder ein. Er brauchte noch immer einen Boten, der es zu jemandem bringen konnte, der sich mit solchen Dingen auskannte. Am Besten wären die Pikten, ein uralter Stamm, der halb aus Kelten bestand und halb aus den blau bemalten Wilden, die vor den Kelten in den schottischen Highlands gelebt hatten. Sie waren Meister des okkulten Wissens. Wenn jemand dieses Buch entziffern konnte, errechnete er sich bei den Pikten die besten Chancen.
    Und ich habe auch schon eine Idee, wen ich schicken könnte …
    Er öffnete die Tasche und griff nach dem Buch.
    Und erstarrte.
    Und griff noch einmal hinein, sorgfältig mit der Hand die Tasche durchsuchend. Ärger und Schreck hielten sich die Waage, als er hektisch die zweite Tasche durchwühlte. Schließlich nahm er sie in die Hand und schüttelte ihren gesamten Inhalt in den Dreck, in der idiotischen, verzweifelten Hoffnung, das Buch könnte mit all seinen anderen Habseligkeiten herausfallen.
    Vergebens.
    Jemand hatte es gestohlen.
     
    Es war mindestens
verdächtig
, dass an diesem Tag kein einziger der Seher ausfindig zu machen war. Sogar Maelog, der Seher der Bretonen, war verschwunden. Offenbar waren sie mit einem Trupp Waliser nach Süden verschwunden, um im Auftrag der Spinne an der Bergpforte ein Ritual durchzuführen. Also blieb Derrien nichts anderes übrig, als auf herkömmliche Art und Weise nach dem Dieb zu suchen.
    Zuerst schrie er den Bretonen zusammen, den er vorhin mit dem Pferd beauftragt hatte, und erfuhr schließlich von dessen Kumpanen, dass sie bei der Koppel wohl mit ein paar Helvetiern ins Tratschen gekommen waren, die für die Bewachung der Tiere zuständig waren. Vielleicht hätte da einer einen unbeobachteten Moment genutzt …
    Im Anschluss ging er zur Koppel und schrie dort weiter. Den Helvetiern quollen fast die Augen über vor Angst, bis einer von ihnen die Nerven verlor und im Zusammenhang mit dem Pferdesattel den Namen
Baturix
fallen ließ.
    Von da an war es dann ganz einfach.
    Er fand Baturix am Eingang des Verwundetenunterstandes in einer Reihe mit zwei weiteren Verletzten auf einer Bank sitzend, wo er offenbar darauf wartete, versorgt zu werden. Die Prügel des Bretonenmobs hatten ihn übel zugerichtet: Sein linkes Auge war fast vollständig zugeschwollen, sein Gesicht war blutverkrustet, er hielt sich einen blutdurchtränkten Lappen gegen die Stirn. Seine Lippen waren aufgeplatzt, seine ganze Körperhaltung sprach dafür, dass ihm selbst das Stillsitzen schon Schmerzen bereitete.
    Derrien empfand kein Mitleid mit ihm. Wenn der Helvetier tatsächlich das Buch gestohlen hatte, dann blühte ihm noch weit mehr als nur Prügel. Wütend ging er auf ihn zu, mit knirschenden Zähnen und geballten Fäusten. Bei ihm angekommen, presste er zwischen geschlossenen Kiefern hindurch: »Wo – ist – mein – Buch?«
    Baturix’ Reaktion war genau die, die Derrien erwartet hatte. Es war nicht die Verwirrung, mit der ein Unschuldiger auf einen Vorwurf reagierte, sondern die Angst eines überführten Verbrechers. »Das … Buch?«, stammelte Baturix, doch er war ein geradezu erbärmlicher Schauspieler.
    »Das Buch!«, zischte Derrien. Er griff Baturix’ Umhang am Kragen und riss den Helvetier daran auf die Beine. »Erzähl mir nicht, du weißt nichts

Weitere Kostenlose Bücher