Schattensturm
zumindest seine Augen selbstzufrieden. Allein für diesen Blick hätte er schon eine Ohrfeige verdient …
DERRIEN
Feldlager der Ratsarmee, nahe Bergen, Norwegen
Mittwoch, 14. April 1999
Die Innenwelt
Das Gefangenenlager war mit einem etwa hüfthohen Bretterzaun vom Rest des Lagers abgetrennt. Dahinter befanden sich weitere Zeltreihen, nicht weniger und nicht mehr elend als die auf der anderen Seite. Ein paar in zerschlissene und verdreckte Wollkleidung gehüllte Leute – überraschend viele davon dunkelhäutig – standen in kleinen Grüppchen beieinander und unterhielten sich oder starrten missmutig ins Leere. Derrien musste zweimal hinsehen, um zu glauben, dass sich tatsächlich auch Frauen darunter befanden. Offenbar hatten die Schatten keinen ihrer Fomorer zurückgehalten. Sie hatten alles auf eine Karte gesetzt, die Kelten in dieser einen Schlacht zu besiegen.
Der Zaun besaß mehr symbolische Bedeutung, als dass er tatsächlich jemanden daran hinderte auszubrechen. Dafür waren die Wachen da, Krieger mit Lederrüstungen, Schwertern und Speeren, die davor patrouillierten. Sie trugen dicke Kapuzenumhänge, die sie mit Hilfe von bronzenen Broschen in Form einer Sonne geschlossen hielten.
Medredydd
, dachte Derrien
.
Die Sonne war das Zeichen des walisischen Häuptlings, der ein beinahe fanatischer Anhänger des Sonnengotts Lug war. Es überraschte Derrien kaum. Die Spinne hatte schon seit einiger Zeit ein recht enges Verhältnis zu Medredydd.
Am Eingang, der nicht mehr war als eine ein paar Schritt breite Aussparung im Zaun, hielten zwei Männer Wache. Sie warfen ihm einen misstrauischen Blick zu, als er ihnen entgegenritt, und stellten sich ihm in den Weg.
»Wer befiehlt hier?«, herrschte er sie an, ohne vom Pferd abzusteigen.
»Das wäre dann wohl ich«, kam eine Stimme von rechts. Ein dritter Mann stand dort, bisher von einem größeren Zelt verborgen. Als Zeichen seines Ranges trug er ein Kettenhemd, dazu einen Umhang aus Bärenfell, der ebenfalls mit der Sonnenspange geschlossen war. Er war ungefähr so groß wie Derrien und hatte ein Allerweltsgesicht, mit kurzen braunen Haaren, einem kurzen Vollbart und braunen Augen. Derrien machte sich nicht die Mühe, seine Erinnerung nach ihm zu durchforsten. Er kannte mehrere Leute, die so oder so ähnlich aussahen, allesamt gleichermaßen unbedeutend. Er war ein Unterführer, vielleicht sogar ein Hauptmann, aber jedenfalls kein Druide.
Der Mann trat vor ihm in den Eingang und verschränkte die Arme vor der Brust. »Was wollt Ihr?«
Die Selbstgefälligkeit des Walisers ließ Derriens Wut erneut brodeln. »Deinen Namen zuerst, wenn du mit Ranghöheren sprichst!«
Ein Schatten huschte über das Gesicht. »Dylan. Aus Caer Blaig Caregan 1 .«
Das war schon besser. »Warum haltet ihr Seog hier fest?«
»Das werdet Ihr meinen Fürsten fragen müssen. Oder den Feldherrn.«
»Aber ich frage
dich
. Gib mir eine Antwort oder geh mir aus dem Weg!«
»Es heißt, dass er sich den Befehlen des Feldherrn widersetzt hat«, gab der Mann trotzig zurück.
»Endlich mal einer mit Rückgrat und nicht so ein schleimiger Wurm! Zur Seite!«
Er gab dem Pferd die Sporen, ohne darauf zu warten, bis die drei Waliser ihm Platz gemacht hatten. Erschrocken sprangen sie aus dem Weg, als das Tier einen Satz nach vorne machte.
»Der Feldherr wird davon hören!«, rief ihm Dylan wütend hinterher, doch Derrien konnte im Moment nichts gleichgültiger sein.
Seog zu finden war eine Sache von Sekunden. Der Druide war ein paar Zeltreihen weiter aus einem Zelt aufgetaucht und starrte überrascht in seine Richtung. Derrien winkte kurz und ritt zu ihm.
Seog war ein Krieger-Druide, wie er im Buche stand. Er war groß und besaß einen athletischen Körper mit breiten Schultern und muskelbepackten Armen. Seine blauen Augen und das Blond seines Bartes hatte er von seiner Mutter geerbt, einer entwurzelten Norwegerin. Die Tage im Gefangenenlager hatten ihm nicht gutgetan. Er war völlig verdreckt und trug auf Stirn und Unterarmen Bissspuren von Flöhen, mit denen er offenbar sein Lager teilte. Das Haupthaar, das er üblicherweise abrasierte, bedeckte in Stoppeln seinen Kopf.
Noch bevor Derrien etwas sagen konnte, stieß Seog mit unterdrücktem Ärger aus: »Was hätte ich tun sollen, Herr? Hätte ich klein beigeben sollen, während die Spinne unsere Leute aufknüpft?«
»Sei still und bring mich zu Aouregan! Keiner macht dir einen Vorwurf.«
»Ha! Ich bin Gefangener, wisst Ihr?
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