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Schattentraeumer - Roman

Schattentraeumer - Roman

Titel: Schattentraeumer - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andrea Busfield
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schien. Und so nahm sie das Foto, das
     Dhespina an sie abgetreten hatte, und hielt es dem Meer aus vorbeiziehenden, gleichgültigen Gesichtern entgegen. Praxi drängte
     jeden einzelnen Fremden, es sich anzusehen, doch alle wandten rasch ihren Blick ab, sei es aus Verlegenheit oder aus Desinteresse.
     Manchen entlockte sie mit ihren Bemühungen eine ratlose Entschuldigung, manchen einen wütenden Blick, manche straften sie
     mit Missachtung. Irgendwann spuckte ein Jugendlicher ihr auf den Arm, und Praxi konnte Michalakisnur mit Mühe zurückhalten. Sie wischte den Hass des jungen Mannes fort, konnte seine Abscheu jedoch verstehen, da sie sie
     selbst empfand. Und je länger sie ignoriert wurde, desto bleierner lastete ihr Kummer auf ihr, bis sie unter seinem Gewicht
     zusammenbrach und Michalakis sie zum Auto bringen musste.
    Schweigend fuhren sie zurück ins Dorf. Die Sonne neigte sich bereits dem Meer zu, als sie Dhespina und Marios auf dem Friedhof
     fanden, wo Mutter und Sohn Nicos’ vernachlässigtes Grab säuberten. Michalakis schüttelte auf die Fragen seiner Mutter nur
     den Kopf, und nach einem letzten Gebet nahmen die vier ihre Enttäuschung mit in den Süden, bevor die Grenze geschlossen wurde.
    Auf der Heimfahrt reichte Dhespina Praxi einen Brief von
    Mehmet. Sie hatte ihre Brille nicht dabei, doch sie brannte darauf, die Worte zu hören, die seine Tochter für ihn niedergeschrieben
     hatte, als er im Sterben lag. Trotz ihrer Erschöpfung faltete Praxi die vergilbten Seiten auseinander und versuchte die ausgebleichte
     Schrift zu entziffern.
     
    Januar 1975
    An Dhespina, Georgios und die Jungs,
    während ich hier von Alter und Enttäuschung aufgezehrt liege, bete ich darum, dass Ihr alle in Sicherheit seid. Auch wenn
     ich Eure Trauer in meinem Herzen fühle, heißt es doch, dass Ihr zurückgekehrt seid, wenn Ihr diesen Brief lest, und das beruhigt
     mich ein wenig.
    Es fällt mir schwer zu glauben, wie viel wir in so kurzer Zeit, die in der langen Geschichte unserer Insel fast nur ein paar
     Sekunden darstellt, verloren haben. Ich wünsche mir zutiefst, dass in späteren Momenten der Geschichte größere Männer kommen
     werden als die, die uns bisher gedient haben, und dass sie irgendwie die schrecklichen Fehler unserer Vergangenheit wiedergutmachen.
     Wie das geschehen soll, kann ich mir nicht vorstellen, ja, ich wage nicht einmal, darauf zu hoffen, auch wenn ich darauf vertraue,
     dass die Menschlichkeit eines Tages siegen wird.
    Ohne Euch – Du, Georgios, in Deiner Werkstatt, Du, Dhespina, in Deinem Gartenhäuschen und die Jungs immer in der Nähe – ist
     mir, als hätte sich ein Hohlraum in meiner Brust aufgetan, der jedes Zugehörigkeitsgefühl, das ich je besessen habe, verschluckt
     hat. Ich bin dankbar und traurig zugleich, dass meine eigene Familie nun dieses Loch ausgefüllt hat. Sie sind nach und nach
     einzeln gekommen, doch alle sind sie vor dem Chaos im Süden geflohen. Ich nehme an, dass ihre Geschichten und die Geschichten
     meines ganzen Volkes Eure eigenen Geschichten widerspiegeln und dass ich Euch daher nichts von den Morden, Vergewaltigungen
     und Grausamkeiten berichten muss, denen die türkischen Zyprer ausgesetzt waren. Doch lasst mich Euch nur eine Geschichte von
     meiner Enkelin erzählen. Es ist nur eine kleine Verletzung innerhalb der großen Verwüstung, die wir erlitten haben, aber das
     macht sie nicht weniger tragisch. Meine süße Ay+e spielte gerade am Strand, als der Friedenseinsatz losging. Als sie unser
     Dorf etwa drei Tage später erreichte, trug sie immer noch den Badeanzug, in dem sie geflohen war. Sie ist oder war ein dreizehnjähriges
     Mädchen, ein hübsches Kind, das bald zur Frau werden würde. Und sie war gezwungen, fast nackt die Flucht anzutreten. Dies
     wäre wohl für jedes junge Mädchen ein erniedrigendes Erlebnis, doch für ein muslimisches Mädchen wie meine Ay+e war es eine
     unbeschreibliche Folter. Unbeholfen und verschämt wurde sie in einen Bus gesetzt, und ihre Fahrt in die Sicherheit glich einem
     Spießrutenlauf. Die Leute warfen ihnen Steine und Beleidigungen hinterher. Die Insassen hatten Angst, nicht mehr lebend herauszukommen.
     Ich bin dem Mann dankbar, der Ay+es Unschuld mit seinem Hemd schützen wollte, doch sie war noch immer ein kleines Mädchen,
     das nur mit einem Badeanzug bekleidet war. Bis heute verfolgen sie die Scham und die Angst jener Tage in ihren Träumen, und
     es fällt mir schwer, nicht zu weinen, wenn ich

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